Lebensmittel oder Krankmacher?

Hunger ist zunächst der absolute Mangel an Kalorien. Damit Ernährung gesund ist, muss sie jedoch nicht nur genug Energie enthalten, sondern auch eine ausgewogene Mischung an Eiweiß, Kohlehydraten und Fett sowie eine Vielzahl lebenswichtiger Mikronährstoffe wie Eisen, Zink, Jod, Mineralstoffe und Vitamine. Weltweit leiden rund zwei Milliarden Menschen unter einem Mangel an einem, häufiger sogar mehreren Mikronährstoffen – mit teilweise fatalen Folgen. Kurzfristige Notmaßnahmen wie die Verteilung von Vitamin A an Schwangere und Kleinkinder können in akuten Fällen Leben retten und Symptome lindern. Auch der Zusatz von Mikronährstoffen in Lebensmitteln kann helfen. Der Schlüssel zu einer ausgewogenen und gesunden Ernährung ist jedoch der Anbau und Genuss einer Vielfalt von Pflanzen und anderen Produkten mit ihren unterschiedlichen Inhaltsstoffen sowie eine Nahrungsmittelverarbeitung, die deren Qualität erhält. Dies gilt für die Selbstversorgung in ländlichen Regionen ebenso wie für hoch verarbeitete Lebensmittel im Supermarkt.

Fehlernährung und krankhafte Überernährung

Weltweit waren 2016 gut 1,9 Milliarden Erwachsene übergewichtig, davon 650 Millionen krankhaft fettleibig (adipös). Diese „globale Epidemie” – so die WHO – breitete sich rasant aus, zunehmend auch in armen Ländern. Zu energiereiche Ernährung bei mangelnder Bewegung ist die Ursache. Der weltweite Anteil der fettleibigen Erwachsenen hat sich zwischen 1975 und 2016 verdreifacht. Übergewicht gilt mittlerweile als wichtigste Ursache für Diabetes, Bluthochdruck, Schlaganfälle und bestimmte Krebsarten.

Unter-, Über- und Fehlernährung zusammen sind für die meisten nicht ansteckenden Krankheiten und gesundheitlichen Beeinträchtigungen verantwortlich. Sie treffen in unterschiedlichem Maße heute gut die Hälfte der Weltbevölkerung und haben eine wesent- liche gemeinsame Ursache: Die Entkoppelung, Trennung und Entfremdung von Lebensmittel- erzeugung und ‑verbrauch. 
Der Weltagrarbericht fordert, diese Zusammenhänge auf allen Ebenen wiederherzustellen. Die feinen Küchen dieser Welt können uns hierbei den Weg weisen: Viele pflanzliche und wenige, aber dafür gute tierische Produkte sowie eine maximale Vielfalt sind das Geheimnis toskanischer, chinesischer, indischer, französischer wie orientalischer Spitzenköche, die sich alle auf die reiche Tradition der einfachen Küche ihrer Region berufen. Auch die Politik könnte handeln, wie der Weltagrarbericht betont.

Gesetze gegen Lebensmittel- und Trinkwasser- vergiftung gehören zu den ältesten der Welt. Der Weltagrarbericht sieht neue und alte Bedrohungen der Lebensmittelsicherheit in Entwicklungs- wie Industrieländern auf dem Vormarsch. Mikrobiologische Verunreinigungen durch Bakterien (z.B. E. coli, Staphylokokken oder Salmonellen), Pilze, Viren und Parasiten mit meist akuten Symptomen stehen dabei an erster Stelle. Lebensmittelskandale sind nur die Spitze des Eisberges. 
Vergiftungen und Belastungen durch Pestizide, Schwermetalle und andere Rückstände wie Dioxine, PCBs oder künstliche Hormone bleiben wegen ihrer langfristigeren Wirkung zunächst oft unbemerkt. Treten später chronische Symptome auf, sind die exakten Ursachen im Einzelfall oft schwer belegbar. Dies gilt auch für die Auswirkungen und das Zusammenwirken der Vielzahl neuer chemischer Lebensmittelzusatzstoffe, denen Verbraucher heute ausgesetzt sind. Neue Krankheitssyndrome wie Allergien, Hyperaktivität und bestimmte Krebsarten sind auf dem Vormarsch.

Eine zweischneidige Reaktion auf die wachsenden Gesundheitsgefahren des globalisierten Ernährungssystems sind immer teurere und aufwändigere technische Sicherheitsstandards. Komplexe Rückverfolgungs- und Kennzeichnungs- systeme vom Acker bis zum Teller, die von den Industrieländern und internationalen Konzernen in den Leitlinien des Codex Alimentarius von WHO und FAO und in den sanitären und phytosanitären Standards (SPS) der Welthandelsorganisation (WTO) festgelegt werden, überfordern kleine Produzenten und verstärken so die Marktkonzentration. In Industriestaaten strangulieren sie die traditionelle Lebensmittelherstellung und damit auch die Qualität. In sogenannten Entwicklungsländern, die die Kosten solcher Hygiene-, Test- und Überwachungssysteme nicht aufbringen können, gelten sie häufig nur für Exportgüter, während einfache und effektive lokale Sicherheitsmaßnahmen unterbleiben.

Gefährliches Gewerbe

Die Landwirtschaft gehört neben dem Bergbau und Baugewerbe zu den gefährlichsten Berufsfeldern der Welt. Von den vielen Millionen Arbeitsunfällen pro Jahr enden mindestens 170.000 tödlich. Hauptursache sind Unfälle mit Maschinen und Vergiftungen mit Pestiziden oder anderen Agrarchemikalien, aber auch physische Überbelastung, Lärm, Staub, Allergien und von Tieren übertragene Krankheiten. Die Internationale Arbeitsorganisation schätzt, dass 59% der weltweiten Kinderarbeit in der Landwirtschaft stattfindet. Betroffen sind mindestens 98 Millionen Kinder. Die Dunkelziffer ist hier besonders hoch.

Alte und neue Seuchen

Zu den bedrohlichsten Gesundheitsrisiken in der Landwirtschaft gehören ansteckende Krankheiten, die zwischen Tieren und Menschen übertragen und von bestimmten Anbaumethoden begünstigt werden. Bewässerungsmethoden spielen z.B. eine wichtige Rolle bei der Ausbreitung von Malaria und anderen von Insekten übertragenen Krankheiten. Die meisten Opfer dieser Seuchen sind Frauen und Kinder auf dem Lande, denen Vorsorge und Behandlung fehlen. Die private, aber auch öffentliche Forschung konzentriert sich häufig auf jene Krankheiten, die auch die zahlungskräftigere Bevölkerung der Städte und Industriestaaten betreffen. 
Der Antibiotikaeinsatz in der intensiven Tierhaltung ist zu einer ernsten Bedrohung für die menschliche Gesundheit geworden. 1.619 Tonnen Antibiotika, doppelt so viel wie in der Humanmedizin, wurden 2012 in Deutschlands Mastanlagen eingesetzt. Immer mehr Krankheitserreger werden so gegen Antibiotika resistent. Arbeiter aus Tiermastanlagen gelten daher in Krankenhäusern als gefährliche Risikogruppe.

Der Weltagrarbericht zeigt: Landwirtschaft und Ernährung sind die wichtigste Grundlage menschlicher Gesundheit und zugleich die häufigste Krankheitsursache in reichen wie armen Ländern. Gesunde und nachhaltige Ernährung, Lebensmittelproduktion und Landwirtschaft können Leiden und vorzeitigen Tod von Milliarden Menschen verhindern.  Sie sind wesentliche Grundlagen soliden wirtschaftlichen Aufschwungs in Entwicklungsländern und das beste Rezept gegen ausufernde Gesundheitskosten in Industrieländern. Dass nachhaltige und gesunde Ernährung nur erreicht wird, wo Bedarf (Nachfrage) und Produktion gemeinsam statt getrennt entwickelt werden, gehört zu den Botschaften des Weltagrarberichts, die wissenschaftlich nicht mehr strittig sind. In der Praxis stehen ihrer Umsetzung freilich mächtige Wirtschaftsinteressen entgegen.

Fakten & Zahlen

Nach den neusten Angaben der Weltgesundheitsorganisation litten 2022 etwa 2,5 Milliarden Menschen über 18 Jahre an Übergewicht. Von ihnen waren 890 Millionen Menschen krankhaft fettleibig. Rund 16% der Weltbevölkerung gelten nun als fettleibig und dieser Anteil hat sich seit 1990 mehr als verdoppelt. Etwa 37 Millionen Kinder unter fünf Jahren waren 2022 übergewichtig.

Der Anteil der übergewichtigen Menschen an der Bevölkerung hat sich in den letzten 40 Jahren fast verdoppelt: 1975 hatten 21,5% der Erwachsenen Übergewicht, 2016 waren es bereits 39%. Der Anteil der fettleibigen Menschen hat sich sogar verdreifacht, von 4,7% auf 13,1% aller Erwachsenen weltweit. 

Auch 10 Milliarden Menschen können gesund und nachhaltig innerhalb der planetaren Grenzen ernährt werden. Doch wir müssen unsere Ernährung ändern. Die EAT-Lancet Commission schlägt die „planetare Gesundheitsdiät“ vor. Dafür muss sich der globale Konsum von Lebensmitteln wie rotem Fleisch und Zucker halbieren, während doppelt so viel Nüsse, Obst, Gemüse und Hülsenfrüchte verzehrt werden sollen. 2.500 kcal täglich sind vorgesehen, von denen 35% auf Vollkornprodukte und Knollen entfallen und die meisten Eiweiße pflanzlich sind. Der Ernährungsplan beinhaltet 500 Gramm Obst und Gemüse und 250g Milchprodukte, aber nur 14g rotes Fleisch und 13g Eier.

Unser Ernährungssystem macht krank. Die Zahl der Übergewichtigen übertrifft mittlerweile die der Unterernährten bei weitem. Der UN-Sonderberichterstatter schlägt vor, ungesunde Produkte zu besteuern; salz-, zucker- und fettreiche Lebensmittel zu regulieren; Werbung für Junkfood einzuschränken; Agrarsubventionen abzuschaffen, die ungesunde Zutaten billiger machen und die lokale Nahrungsmittelproduktion zu unterstützen, damit alle Zugang zu gesunder Nahrung haben.

In Deutschland sind sind 67% der Männer und 53% der Frauen übergewichtig. Jeder vierte Bürger (23% der Männer, 24% der Frauen) ist sogar adipös und hat einen Body-Mass-Index über 30. In der Altersgruppe der 70- bis 79-Jährigen sind 82,5% der Männer und 80,3% der Frauen übergewichtig. 

2 Milliarden Menschen weltweit weisen ein Defizit an einem oder mehreren Mikronährstoffen auf. 31% der Kinder unter fünf Jahren leiden an Vitamin-A-Mangel, in Ostafrika sind es sogar 46%. In Südasien mangelt es 66% der Kinder an Eisen.

Jährlich erblinden 250.000 bis 500.000 Kinder an den Folgen von Vitamin-A-Mangel. Die Hälfte von ihnen stirbt innerhalb eines Jahres nach dem Verlust des Augenlichts.

2018 wurden in Deutschland 722 Tonnen Antibiotika an Tierärzte abgegeben und kamen in der Tierhaltung zum Einsatz. 2011 waren es mit 1.706 Tonnen noch mehr als doppelt so viel. Mit 300 Tonnen entfiel über 40% der Gesamtabgabemenge allein auf das Postleitzahlgebiet 49 um Diepholz, Osnabrück und Vechta, wo Massentierhaltung weit verbreitet ist. Die Abgabe von Fluorchinolonen in der Tiermast, die als wichtige Reserveantibiotika für den Menschen gelten, stiegen seit 2011 an auf einen Spitzenwert von 12,3 Tonnen in 2014 an. 2018 wurden noch 7,7 Tonnen eingesetzt.

Eine Studie des Landesamtes für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz NRW hat ergeben, dass 9 von 10 Masthühnern (92,5%) während ihrer Mastdauer mit Antibiotika behandelt wurden. Die Studie bezog 832 Mastdurchgänge aus 184 Betrieben ein, die 2011 in NRW untersucht wurden.

Nach Angaben der WHO traten im Jahr 2018 rund 484.000 neue Fälle von multiresistenter Tuberkulose (MDR-TB) auf, bei der Patienten gegen die üblichen Medikamente resistent sind. Fast die Hälfte der Betroffenen leben in drei Ländern: Indien (27%), China (14%) und Russland (9%).

Der weltweite Einsatz von Pestiziden ist zwischen 2000 und 2021 um 60% auf 3,5 Millionen Tonnen gestiegen. Der größte Anstieg wurde von 2000 bis 2016 verzeichnet und nach einem kleinen Rückgang 2018 nahm der Verbrauch wieder zu. Der größte Zuwachs wurde in Nord-und Südamerika verzeichnet. Der Anteil der Region am globalen Pestizideinsatz stieg von 41% auf 50% an. An 2. Stelle steht Asien (28% in 2021), gefolgt von Europa (14%), Afrika (6%) und Ozeanien.

Laut Pestizidatlas ist die Menge der rund um den Globus eingesetzten Pestizide seit 1990 um 80% gestiegen. Die jährlich ausgebrachte Pestizidmenge liegen bei circa 4 Millionen Tonnen weltweit. Fast die Hälfte davon sind Herbizide, die gegen Unkräuter verwendet werden; knapp 30% sind Insektizide und etwa 17% sind Fungizide gegen Pilzbefall. Marktanalysen bezifferten den Wert des globalen Pestizid-Marktes im Jahr 2019 auf fast 84,5 Milliarden US-Dollar. 

Pestizide haben laut einem UN-Bericht katastrophale Auswirkungen auf die Umwelt, die menschliche Gesundheit und die gesamte Gesellschaft und verursachen jedes Jahr 200.000 tödlich endende akute Pestizidvergiftungen. Die UN-Sonderberichterstatterin für das Recht auf Nahrung bezeichnet es als Mythos, dass Pestizide zur Ernährung einer wachsenden Weltbevölkerung notwendig seien.

Im Jahr 2021 waren in Deutschland 950 Pflanzenschutzmittel mit insgesamt 281 Wirkstoffen zugelassen. Insgesamt wurden im Inland 106.189 Tonnen Pflanzenschutzmittel abgegeben. Die abgegebene Wirkstoffmenge belief sich auf 48.683 Tonnen Wirkstoffe (bzw. auf 28.945 Tonnen Wirkstoffe ohne inerte Gase zum Vorratsschutz). Auf Herbizide entfielen 16.114 Tonnen, auf Fungizide 9.699 und Insektizide 20.514 Tonnen Wirkstoff. 2018 war die im Inland abgegebene Wirkstoffmenge mit 44.988 Tonnen und 2019 mit 45.237 Tonnen Wirkstoff deutlich niedriger.  

Von den 335.000 tödlichen Unfällen am Arbeitsplatz ereignen sich mindestens 170.000 Unfälle pro Jahr in der Landwirtschaft. Maschinen, wie Traktoren und Erntemaschinen, sind für die meisten Verletzungen verantwortlich. Hinzu kommen 70.000 Pestizidvergiftungen mit tödlichem Ausgang und 7 Millionen Fälle mit akuten und langfristigen Gesundheitsschäden durch Pestizide.

Weltweit müssen immer noch 152 Millionen Kinder arbeiten. 71% der Kinderarbeit findet in der Landwirtschaft statt. Circa 108 Millionen Kinder zwischen fünf und 17 Jahren arbeiteten 2016 in diesem Sektor. Die Dunkelziffer bei der Kinderarbeit in der Landwirtschaft ist besonders hoch.

  • Foodwatch kämpft für das Recht der Verbraucher auf qualitativ gute, gesundheitlich unbedenkliche Lebensmittel
  • Deutsche Adipositas Gesellschaft Informationen rund ums Thema Übergewicht und Fettleibigkeit
  • Pestizid Aktions-Netzwerk e.V.informiert über die negativen Folgen des Einsatzes von Pestiziden und zeigt Alternativen auf
  • EvB Erklärung von Bern zum Thema Pestizide
  • BUND Pestizide gefährden Bäuerinnen und Bauern bei der Anwendung
  • Greenpeace zum Thema Pestizide und Lebensmittel
  • NABU Landwirtschaft und Pestizide
  • BUND zu Antibiotika in der Massentierhaltung
Das tägliche Gift
Nach oben scrollen