Landgrabbing
Nur 10% der Projekte haben explizit die Produktion von Lebensmitteln zum Ziel. Der überwiegende Teil kon- zentriert sich auf exportierbare Rohstoff-, Treibstoff- und Energieproduktion, auf Fasern, Futtermittel oder klassische Genussmittel wie Kaffee, Tee und Kakao. Einen hohen Anteil machen Flex Crops aus, die als Nahrung, aber auch zu anderen Zwecken dienen können. Betroffen ist hauptsächlich gut erschlos- senes, von Kleinbauern bewirtschaftetes, fruchtbares und dicht besiedeltes Land, nicht etwa Brachflächen. Bei vielen der Landnahmen spielt die Aneignung des Wasserzugangs eine wesentliche Rolle. Die Beteili- gung und Entschädigung der Betroffenen wird häufig als zumindest unzureichend bezeichnet. Bemerkens- wert ist auch, dass einem großen Teil der Landnah- men bisher noch keine Produktion gefolgt ist und auch die Rate der aufgegebenen Projekte erheblich ist.
Können freiwillige Leitlinien helfen?
Im Mai 2012 verabschiedete der Ausschuss für Welternährungssicherung der Vereinten Nationen (CFS) „Freiwillige Leitlinien für die verantwortungsvolle Verwaltung von Boden- und Landnutzungsrechten, Fischgründen und Wäldern“, die Staaten wie auch Investoren Regeln an die Hand geben, wie legitime Rechte geschützt, dokumentiert und verwaltet, wie Besitzwechsel organisiert, öffentliche Prioritäten und Ziele der Landnutzung definiert und Konflikte geregelt werden sollten. Die Richtlinien definieren Landzugang als Bestandteil von Menschenrechten, fordern Gleich- berechtigung, Rechtssicherheit, Transparenz, Respekt vor unterschiedlichen Rechts- und Wertesystemen, frühzeitige Beteiligung aller Betroffenen, friedliche Konfliktlösung sowie öffentliche und private Verantwortung für Nachhaltigkeit, Ernährung und Beschäftigung. Die meisten Absätze beginnen mit den Worten „Staaten sollten“.
Alles in allem lassen sich diese Richtlinien auch als nahezu vollständige Sammlung demokratischer und rechtsstaatlicher Bedingungen lesen, die in einem Land, das auf der Liste der beliebtesten Landgrabbing-Ziele steht, sicherlich nicht herrschen. In der Praxis könnte diese Sammlung von Prinzipien, guten Vorschlägen und Absichten dort von Bedeutung werden, wo Regierungen, die ausländische Landnahmen in ihren Ländern fördern oder dulden, den Verlust von Entwicklungshilfegeldern oder die Einstellung der Zusammenarbeit fürchten müssen, wenn sie die Richtlinien missachten. Unternehmen, die gegen sie verstoßen, könnten von Handelspartnern, aber auch von ihren Heimatstaaten dafür sanktioniert werden. Beispiele für eine solche Umsetzung der Richtlinien waren vier Jahre nach ihrer Verabschiedung noch nicht bekannt.
Welthandel mit Agrarrohstoffen schafft globalen Bodenmarkt
Globale wirtschaftliche Grundlage des enorm gewach- senen Interesses internationaler Investoren an Land- käufen ist zunächst ein wachsender Markt für weltweit handelbare Agrarrohstoffe, deren Preis nicht von der Kaufkraft der lokalen Bevölkerung abhängig ist, sowie die offensichtliche Verknappung des verfügbaren fruchtbaren Bodens. Zudem sind sich alle Analysen einig, dass trotz stärkerer Schwankungen auch die Lebensmittelpreise in den kommenden Jahrzehnten steigen werden. Für Kapitalanleger auf der Suche nach Investitionsmöglichkeiten macht dies Ackerland auch da attraktiv, wo die kurzfristigen Erträge nicht optimal sind. Sein Wert steigt dennoch. Auch in Europa gilt großflächiger Landkauf, etwa in der Ukraine oder Rumänien, als ein sicheres Geschäft und führt dabei oft genug ebenfalls zur Vertreibung von Kleinbauernfamilien.