Hunger im Überfluss

Das akute Elend der Opfer von Dürren, Überschwem-mungen, Kriegen, Bürgerkriegen und anderen Katastrophen in Flüchtlingslagern prägt zwar unser mediales Bild des Hungers. Doch nur eine kleine Minderheit ist auf diese Weise betroffen. Die schweigende Mehrheit der Hungernden hat dauerhaft zu wenig zu essen, um ein normales Leben zu führen. Die Unterernährung macht sie zu schwach, um zu arbeiten und zu lernen, verursacht bleibende Schäden und macht anfällig für Infektionskrankheiten und Parasiten. Besonders hart trifft sie Mütter und Kinder in den ersten Lebensjahren. Die ersten 1000 Tage im Leben eines Kindes, einschließlich der Schwangerschaft, gelten als entscheidend für seine Entwicklung. Jährlich sterben fast sieben Millionen Kinder unter fünf Jahren; ein Drittel von ihnen an Lungenentzündung, Durchfall und Malaria. Das Kinderhilfswerk UNICEF schätzt, dass fast die Hälfte dieser Kinder überleben würde, wenn sie ausreichend ernährt wären. Unterentwickelte Kinder, deren Zahl noch deutlich höher ist als die der unterernährten, tragen bleibende gesundheitliche und geistige Beeinträchtigungen davon, die Hunger und Armut in der nächsten Generation weiter befördern.

Hunger ist nur vor Ort zu überwinden

Über 70% aller Hungernden leben auf dem Lande. Als Klein- und Subsistenzlandwirte, Hirten, Fischer, Landarbeiter und Landlose sind sie direkt von der lokalen Landnutzung abhängig, können sich davon aber häufig nicht ausreichend und sicher ernähren. Der Zugang der Armen auf dem Lande zu Boden, Wasser und Produktionsmitteln, zu Know-how und Wissen sowie zu sozialer Mindestabsicherung in Notsituationen ist der entscheidende Faktor dafür, ob das Menschenrecht auf ausreichende und gesunde Ernährung umgesetzt wird oder nicht. In zweiter Linie hängt dies davon ab, in welchem Maße sich zusätzliche Erwerbsmöglichkeiten auf dem Lande bieten. Eine zentrale Botschaft des Weltagrar-berichts lautet deshalb: Hunger ist vor allem ein ländliches Problem und kann nachhaltig nur vor Ort überwunden werden. Regionale Selbstversorgung mit Lebensmitteln ist, wo immer möglich, das unverzichtbare Rückgrat nachhaltiger ländlicher Entwicklung.

Elend und Landflucht

In den letzten Jahrzehnten hat sich die Situation der Armen auf dem Lande in vielen Regionen drastisch verschlechtert. Kleinbauern wurden verdrängt, ihre Erlöse sanken, Erträge stagnierten. Aids nahm besonders in Afrika Millionen Familien ihre aktivsten Mitglieder und belastet sie mit zusätzlichen Kosten und Arbeit zur Versorgung der Kranken und Waisen. Junge Menschen, vor allem Männer, suchen Arbeit in den Städten und lassen Alte, Frauen und Kinder in einer Lage zurück, in der sie gerade das Nötigste anbauen. An Rücklagen für Krisen und Missernten ist nicht zu denken, geschweige denn an Überschüsse, deren Verkauf die Grundlage für Investitionen bilden könnte.

Zunehmend trägt die Landflucht den Hunger in die Slums und Vororte der Megastädte, wo stärker als auf dem Lande Geld der alles entscheidende Faktor ist. Arme Familien geben den größten Teil ihres Einkom- mens für Lebensmittel aus. Wo 70% der verfügbaren Mittel zur Ernährung gebraucht werden, machen geringfügige Preiserhöhung bereits einen gewaltigen Unterschied aus. Extreme Preissprünge wie in den Jahren 2008 und 2011 trieben viele Menschen daher auf die Barrikaden. Ihre Hungerrevolten, namentlich in den Hauptstädten, trugen erheblich dazu bei, dass viele Regierungen in Asien und Afrika die Selbst-versorgung mit Lebensmitteln heute ernster nehmen als noch zum Zeitpunkt der Verabschiedung des Weltargrarberichts. (s.a. >>Ernährungssouveränität)

Eine Frage des politischen Willens

Schwache nationale und regionale Regierungen in vielen der am härtesten betroffenen Länder haben leider häufig andere Prioritäten als die Bekämpfung des Hungers der Bevölkerung. Humanitäre und Entwicklungshilfe kann sogar zu einer wichtigen Einnahmequelle für Machthaber werden, die das Elend der eigenen Bevölkerung als Geisel nehmen. Für das Versagen vieler Regierungen im Kampf gegen den Hunger sind neben Korruption, Inkompetenz, Krieg und interner Gewalt auch die Arroganz und Ignoranz städtischer Eliten gegenüber der Entwicklung auf dem Lande verantwortlich. Nicht zuletzt führen die Auflösung und der Zusammenbruch staatlicher Ordnung gerade in entlegenen ländlichen Regionen häufig zu lokalen Gewalt- und Ausbeutungsstrukturen, in denen ein Menschenleben wenig zählt.

Grundlagen

Bewegung

Literatur

Videos: Hunger im Überfluss

Klicken Sie auf das Bild um die Videoplaylist anzusehen

WissensWerte: Welternährung

Dokumentarfilm Hunger

Grafiken

  • UNEP Food LostUNEP Food Lost
  • UNEP Natural DisastersUNEP Natural Disasters
  • UNEP Poverty ReductionUNEP Poverty Reduction
  • UNEP Poverty DistributionUNEP Poverty Distribution
  • UNEP Poverty by CountryUNEP Poverty by Country
Share |

Unterstützer

Unterstützer von www.weltagrarbericht.de Verlag der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft e.V. Bioland biovision Brot für die Welt Brot für alle Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland Demeter Zukunftsstiftung Entwicklung in der GLS Treuhand Hilfswerk der Evangelischen Kirchen Schweiz Heidehof Stiftung Mission EineWelt Misereor Naturland Public Eye | Erklärung von Bern Rapunzel - Wir machen Bio aus Liebe Swiss Aid, Ihr mutiges Hilfswerk tegut W-E-G Stiftung
English versionEnglish versionDeutsche Version