Ernährungssouveränität
Ernährungssouveränität fordert die Entwicklung lokaler und regionaler Selbstversorgung und möglichst enge Beziehungen zwischen Produktion und Verbrauch. Mit nationaler Autarkie als politischer Doktrin hat dies nichts zu tun.„Ernährungssouveränität hat eine breiter gefasste Dimension, da sie Themen wie Agrarreform, territoriale Kontrolle, lokale Märkte, Biodiversität, Autonomie, Kooperation, Schulden und Gesundheit umfasst, welche alle im Zusammenhang mit lokaler Lebensmittelproduktion stehen. (…) Für die Zivilgesellschaft ist Ernährungssouveränität ein neues Leitbild, um Ernährungssicherheit, ländliche Beschäftigung und die Ziele einer nachhaltigen Entwicklung zu erreichen. Für Entwicklungsländer steht sie für die Forderung, dass die Welthandelsorganisation (WTO) ihre Kontrolle über Ernährung und Landwirtschaft aufgibt und geht davon aus, dass Kleinbauern und Landlose niemals innerhalb des agrarindustriellen Paradigmas konkurrieren können.“ (Lateinamerika und Karibik, S. 20).
Als der Weltagrarbericht 2008 das „unwissen- schaftliche“ Konzept der Ernährungssouveränität wegen seiner wichtigen Erweiterung herkömmlicher Ernährungssicherheitskonzepte befürwortete und integrierte, erntete er dafür noch viel Kritik.
Seither wurde der Begriff Schritt für Schritt auch von offizieller Seite anerkannt. 2013 unterzeichnete der Generaldirektor der Welternährungsorganisation FAO, José Graziano da Silva, ein Kooperationsabkommen mit La Via Campesina, um im UN-Jahr der Familienlandwirtschaft 2014 gemeinsame Konzepte von Ernährungssouveränität zu entwickeln.
Ernährungssouveränität als Symbol urbaner Moderne
Ernährungssouveranitat ist längst auch zu einem Selbstbestimmungskonzept in den Industriestaaten und Städten geworden. Auch hier geht es um „Entkolonialisierung“ und aktive Veränderung des Verhältnisses zur geballten Wirtschafts-, aber auch Kommunikationsmacht von Lebensmittel- und Handelskonzernen. Für viele, besonders junge Leute in den Metropolen ist bereits selbst zu kochen ein Akt der Emanzipation. Vegane oder vegetarische, faire, lokale und biologische Küche und die Verwertung von vermeintlichem Abfall werden zum Symbol. Gemüseanbau auch in der Stadt wieder in eigene Hände zu nehmen in gemeinschaftlichen, interkulturellen, Schul- oder Nachbarschaftsgärten, städtische Imkerei, Lebensmittel-Kooperativen, „Solidarische Landwirtschaft“ (CSA), an der Kunden sich direkt mit Geld und Arbeit beteiligen, sind vielfältige Ausdrucksformen der Suche nach neuer Ernährungssouveranitat. Es geht um Selbstverwirklichung und die Überwindung von Entfremdung; aber auch um die alte Weisheit, dass Essen stets ein politischer Akt ist.