Bodenfruchtbarkeit und Erosion
Die hohe Kunst der jeweils optimalen Bodenpflege und -nutzung litt in den vergangenen hundert Jahren zunehmend darunter, dass scheinbar unerschöpfliche Mengen einfach anwendbarer, synthetischer Mineraldünger das mühsame und komplexe Geschäft des langfristigen Erhalts und Aufbaus der Bodenfruchtbarkeit ersetzten. Nach dem Haber-Bosch-Verfahren zur industriellen Produktion von Ammoniak werden jährlich über 100 Millionen Tonnen synthetischer Stickstoffdünger hergestellt.
Weil das Verfahren der beiden deutschen Chemiker mit hohen Temperaturen und sehr großem Druck arbeitet, erfordert es enorme Mengen an Energie und koppelt so die Landwirtschaft im Allgemeinen und die Bodenfruchtbarkeit im Besonderen an den Ölpreis. Der dadurch ermöglichte Nährstoffschub, ohne den die Vervielfachung der Agrarproduktion der letzten Jahrzehnte und die heutige Überproduktion undenkbar wären, hat auf die damit bearbeiteten Böden die fatale Wirkung einer klassischen Droge: Die natürliche Fruchtbarkeit, insbesondere der Humusaufbau, wird behindert, die Böden ermüden rascher, versauern und brauchen entsprechend höhere Dosen von Mineraldünger. Landwirte werden andererseits dazu verführt bzw. wirtschaftlich gezwungen, auf aufwändigere, wissens- und arbeitsintensivere Formen des Erhalts der Bodenfruchtbarkeit zu verzichten. Die Spezialisierung auf wenige Pflanzen, der Verzicht auf Tierhaltung und Monokulturen wären ohne industriellen Mineraldünger unmöglich.„Moderne Richtlinien für optimale konventionelle Anbausysteme empfehlen die volle Ausnutzung aller bodenständigen Nähr- stoffe (Komposte, Erntereste und tierischen Mist) und lediglich den Ausgleich des verbleibenden Defizits mit Mineraldünger.“ (Global, S. 183)
Der Weltagrarbericht plädiert für eine intensive Renaissance bodenkundlichen Wissens in der industriellen wie kleinbäuerlichen Landwirtschaft und Agrarforschung und fordert einen Verzicht auf alle Formen der Missachtung des fundamentalen Wertes fruchtbarer Böden. Dazu gehören neben der Überdüngung, auch die Übernutzung dafür ungeeigneter Böden, der Verzicht auf notwendigen Schutz vor Wasser- und Winderosion, etwa durch Baum- und Heckenbestände, aber auch die Versiegelung wertvoller Flächen im Umkreis der Städte in Industrieregionen (in Deutschland allein 70 Hektar pro Tag) sowie die Verdichtung durch schweres Gerät oder unnötige und zu tiefe Bearbeitung mit dem Pflug.