Bäuerliche und industrielle Landwirtschaft
Die Landwirtschaft ist bis heute die wichtigste Erwerbsquelle und der größte Wirtschaftszweig der Welt. Ein Drittel aller arbeitenden Menschen ist in der Landwirtschaft beschäftigt. Millionen von Kleinbauern, Subsistenzlandwirten, Hirten, Fischern und Indigenen produzieren in Asien und Afrika meist auf kleinsten Flächen den größten Teil aller Lebensmittel, die die Menschheit vertilgt. Für die Agrarpolitik, ihre interna-tionalen Institutionen und auch für die private und öffentliche Forschung waren Subsistenz- und Kleinbauern jahrzehntelang nur rückschrittliche „Auslaufmodelle” einer vorindustriellen Wirtschafts-weise. „Wachse oder weiche!” lautete mit wenigen Ausnahmen seit über 50 Jahren das kapitalistische wie sozialistische Fortschritts-Credo. Nur größere wirtschaftliche Einheiten seien imstande, durch moderne und rationalisierte Anbaumethoden, in erster Linie durch erhöhten Chemie- und Maschinen-einsatz, die erforderliche globale Produktionssteigerung zu erbringen. „Industrielle Landwirtschaft: Kapitalintensive Form der Landwirtschaft, die menschliche und tierische Arbeitskraft durch Maschinen und zugekaufte Produktionsmitteln (Inputs) ersetzt." (Global, S. 563-564)
Die landwirtschaftliche Tretmühle
Dieses Entwicklungsmodell der Industrieländer beschreibt der Weltagrarbericht als die „landwirt-schaftliche Tretmühle”. Sie basiert auf Technologie-schüben, etwa in der Mechanisierung, Zucht, Agrar- chemie oder Gentechnik, die bei steigendem externen Input die Stückkosten senken und die Produktivität pro Arbeitskraft erhöhen.„Die landwirtschaftliche Tretmühle: (…) Bauern, die frühzeitig eine Technologie einführen, die produktiver oder kostengünstiger ist als der allgemeine Stand der Technik, realisieren so lange einen Extraprofit, wie die Preise sich dieser Effizienzsteigerung noch nicht angepasst haben. Sobald andere die neue Technologie einsetzen, steigt die Produktion und die Preise beginnen zu fallen. Bauern, die die Technologie nicht einsetzen, geraten dann in eine Preisklemme: Ihr Einkommen sinkt, egal wie hart sie arbeiten.” (Global, S. 73)Die Produktion steigt, die Erzeugerpreise sinken. Auf dem Markt überleben die Betriebe, die durch Rationalisierung, Erweiterung oder Standortvorteile der Konkurrenz einen Schritt voraus sind. Ist ihr Vorsprung aufgebraucht, beginnt auch für sie die nächste Runde. Ein Ende dieser Tretmühle ist nicht vorgesehen. Je globaler der Markt, desto schneller das Tempo und desto unüberschaubarer das Spiel für den Einzelnen.
Dass dieses Universalprinzip des technischen Fortschritts in der freien Marktwirtschaft für die nachhaltige Ernährung und für die Organisation der Landwirtschaft das optimale Konzept ist, stellt der Weltagrarbericht aus unterschiedlichen Gründen infrage. Zunächst folgt die wichtigste Grundlage der Landwirtschaft – das Nutzungsrecht an fruchtbarem Boden, der nur selten vermehrbar ist – fast nirgends klassischen Marktregeln von Angebot und Nachfrage. Historisch aus Feudalismus, Kolonialismus und patriarchalischer Erbfolge entstanden, war seine Verteilung schon immer das Ergebnis ganz besonderer Machtkämpfe und Machenschaften, bei denen es selten transparent, gerecht und gewaltfrei zugeht. >>mehr
Fakten & Zahlen
Etwa 3,37 Milliarden Menschen oder 45% der Weltbevölkerung wohnen in ländlichen Gebieten. Mehr als 2 Milliarden Menschen leben vorwiegend von der Landwirtschaft. In Afrika wohnen 57% der Bevölkerung auf dem Lande und 53% der Menschen dient die Landwirtschaft als Existenzgrundlage.
Rund 873 Millionen Menschen oder 27% der globalen Erwerbsbevölkerung arbeiteten 2021 in der Landwirtschaft, verglichen mit 1.027 Millionen oder 40% im Jahr 2000. In Asien sank die Beschäftigung in der Landwirtschaft von 787 auf 581 Millionen Menschen, sprich jeder vierte Landarbeiter kehrte dem Sektor seit 2000 den Rücken. In Europa hat sich die Zahl der in der Landwirtschaft Beschäftigten von 34,4 Millionen in 2000 auf 17,5 Millionen in 2021 fast halbiert. Im gleichen Zeitraum erhöhte sie sich in Afrika von 164 Millionen auf 229 Millionen Menschen.
Kleinbauern sind sehr produktiv. In Brasilien stellen kleinbäuerliche Familienbetriebe im Schnitt 40% der Produktion einiger Hauptanbauprodukte bereit und zwar auf weniger als 25% der Ackerfläche. In den USA produzieren sie 84% aller Erzeugnisse auf 78% der Anbaufläche. Kleinbauern in Fidschi stemmen 84% der Produktion von Yams, Reis, Maniok, Mais und Bohnen auf nur 47,4% des Landes.
„Die Welt braucht einen Paradigmenwechsel in der landwirtschaftlichen Entwicklung: von einer ‚Grünen Revolution’ hin zu einem Ansatz ‚ökologischer Intensivierung’. Dies beinhaltet einen schnellen und bedeutenden Übergang von der konventionellen, von Monokulturen geprägten und stark auf externe Inputs angewiesenen industriellen Produktion hin zu einem Mosaik nachhaltiger, erneuerbarer Produktionssysteme, die auch die Produktivität von Kleinbauern erheblich verbessern.“
Die durchschnittliche Größe landwirtschaftlicher Betriebe beträgt in den USA 178,4 Hektar und in Lateinamerika 111,7 Hektar. Im Afrika südlich der Sahara haben Bauernhöfe dagegen im Schnitt 2,4 Hektar Fläche zur Verfügung und in Südostasien bewirtschaften Kleinbauern 1,8 Hektar.
In Deutschland bewirtschaften immer weniger Betriebe immer größere Flächen: Während 1999/2000 noch rund 472.000 landwirtschaftliche Betriebe (ab 5 Hektar Fläche) mit im Schnitt 36,3 Hektar Fläche existierten, waren es 2016 nur noch 275.400 Betriebe, die durchschnittlich über 60,5 Hektar verfügten.
Die Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) schätzt die öffentlichen Agrarsubventionen in den OECD-Ländern im Jahr 2017 auf gut 315.5 Milliarden US-Dollar. Am Erzeugerstützungsmaß (PSE) gemessen belief sich die Unterstützung der Landwirte im OECD‑Raum auf 228 Milliarden US‑Dollar.
In der EU erhielten im Jahr 2016 lediglich 1,8% der landwirtschaftlichen Betriebe 50.000€ oder mehr und insgesamt rund 31% der Direktzahlungen (EUR 40.990.286). 93% aller Empfänger enthielten 20.000€ oder weniger, doch diese große Gruppe bekam nur 42% der Gelder. In Deutschland gehen 38% der EU-Direktzahlungen an nur 4,4% der Betriebe - jene, die über 50.000 Euro jährlich erhalten.
Während die offiziellen Entwicklungshilfegelder zwischen 1980 und 2006 von 7 Milliarden US-Dollar auf 27 Milliarden anstiegen, nahm der Anteil der Finanzmittel, die dem Agrarsektor zukamen von 20% auf 4% ab und sank auch in absoluten Zahlen.
Landwirtschaftliche Kleinbetriebe kommen mit Dürre besser zurecht als die großindustrielle Landwirtschaft. Dies ergab eine in Uganda durchgeführte Studie. Kleinbäuerliche Initiativen zum Schutz der Landschaft und ein reduzierter Pestizid-Einsatz führten zu einer Verringerung der Kosten und des Wasserverbrauchs, während sich Ernteerträge und die Bodenqualität verbessern.
Die Produktivität pro Fläche und Energieverbrauch ist bei kleinen, diversifizierten Bauernhöfen viel höher als intensive Bewirtschaftungssysteme in bewässerten Gebieten.