Rio+20 - Zeit für die Umsetzung des Weltagrarberichts
Im Jahr 2008 wurde der Weltagrarbericht (International Assessment of Agricultural Knowledge, Science and Technology for Development) fertiggestellt. Das von UN und Weltbank initiiert vierjährige Projekt brachte mehr als 400 Wissenschaftler zahlreicher Disziplinen zusammen, um den aktuellen Stand der globalen Landwirtschaft zu evaluieren. Der Bericht forderte einen Paradigmenwechsel in der Agrarpolitik und landwirtschaft- lichen Praxis and bekräftigte die Notwendigkeit, Kleinbauern stärker zu unterstützen. Er räumte mit den üblichen landwirtschaftlichen Konzepten auf und definierte neu, welche Landwirtschaftssysteme tatsächlich nachhaltig sind. Zudem gab er Handlungsempfehlungen für eine nachhaltige landwirt- schaftliche Entwicklung. Die Rio+20-Konferenz muss diese Ergebnisse berücksichtigen, wenn sie den Weg zu wahrer Nachhaltigkeit beschreiten will. Obwohl die Kernthemen des Berichts drängender denn je sind, haben die meisten Unterzeichnerstaaten seine Ergebnisse nicht umgsetzt. Sie haben sich zwar die Sprache des Berichts angeeignet, verfolgen jedoch weiterhin eine Politik getreu dem Prinzip „weiter wie bisher". Rio+20 bietet die Chance, diese Umsetzungslücke zu schließen und eine UN-Institution zu beauftragen, die Umsetzung der Ergebnisse des Weltagrarberichts zu überwachen.
Neue Gefahren
Seit der Veröffentlichung des Weltagrarberichts haben tief- greifende wirtschaftliche und politische Veränderungen neue Risiken und Probleme erzeugt. Infolge der Nahrungsmittel- preiskrise 2008 hat der weltweite Ansturm auf Ackerland, Land Grabbing genannt, ungekannte Ausmaße erreicht. Staaten, transnationale Konzerne und Investmentfonds kaufen oder pachten große Flächen in Entwicklungsländern und berauben so die lokale Bevölkerung ihres Zugangs zu Land. Hunger ist nicht selten die Folge. Die wachsende Nachfrage nach Agrar- treibstoffen, die durch Beimischungsquoten und Subventionen verstärkt wird, erhöht besonders den Druck auf Ackerland. Agrartreibstoffe konkurrieren so direkt mit der Lebensmittelproduktion und führen zu Treibhausgas-Emissionen, wenn Wald zur Gewinnung von Anbauflächen abgeholzt wird. Seit Beendigung des Weltagrarberichts hat sich die Spekulation mit Nahrungsmitteln als neue Gefahr gezeigt. Banken, Hedge- und Rentenfonds spekulieren an Warenterminmärkten auf Agrarrohstoffe und treiben so die Lebensmittelpreise in die Höhe. Des Weiteren zeigen sich die Folgen des Klima- wandels immer deutlicher. Dürren und Flutkatastrophen gefährden die landwirtschaftliche Produktion.
Ein regelmäßiger internationaler Agrarbericht ist nötig
Ein regelmäßiger und institutionalisierter internationaler Agrarbericht ist notwendig, um Lösungs- ansätze für altbekannte und neue Probleme aufzuzeigen und eine nachhaltige landwirtschaftliche Entwicklung zu erzielen. Politiker und Entscheidungsträger benötigen verlässliche und umfassende Informationen, um effektive politische Rahmenbedingungen schaffen zu können. Im März wurde die Notwendigkeit eines regelmäßigen Agrarberichts von einer Tagung hochrangiger Experten zu Ernährungssicherung und nachhaltiger Landwirtschaft in New York bekräftigt. Dort kamen Vertreter von Regierungen, der UN, Bauernorganisationen, Wissenschaftler und viele mehr zusammen. In der gemeinsamen Erklärung „Nourish Our People – Nurture Our Planet” forderten Sie einen regelmä- ßigen Agrarbericht zur Bewertung des aktuellsten Standes von Wissenschaft und Forschung. Verschiedene Formen landwirtschaftlicher Produktion sollen evaluiert werden, um sicherzustellen, dass die Systeme unterstützt werden, die zur Ernährungssicherheit beitragen, Biodiversität schützen und der ganzen Gesellschaft zugute kommen - und nicht das Agribusiness, das auf Kosten der Umwelt produziert und ohnehin schon knappe Ressourcen ausbeutet. Rio+20 bietet die Chance, die Ergebnisse des Weltagrarberichts umzusetzen und die Fortführung dieses Prozesses zu gewährleisten, indem ein regelmäßiger Bericht initiiert wird.
Zu diesem Zweck muss ein internationales Forum eingerichtet werden, das alle Beteiligten einbe- zieht. Ein Netzwerk von Wissenschaftlern verschiedener Disziplinen, Institutionen, Bauernorganisa- tionen, Vertretern von UN-Organisationen, wie der FAO oder dem UNEP, und der Zivilgesellschaft soll aufgebaut werden. In einem partizipativen Prozess können alle Akteure im Bereich Landwirtschaft und Ernährungssystem und Träger verschiedener Wissensformen einbezogen werden. Das Komitee für Ernährungssicherheit (CFS) und der ihm zugeordnete Rat hochrangiger Experten könnten die strate- gische Leitung des Projekts übernehmen. Dafür muss das CFS mit den nötigen finanziellen Mitteln und politischer Unterstützung ausgestattet werden, um seine Aufgabe wahrnehmen zu können. Ein klarer Zeitrahmen, Ziele und Monitoring sind unerlässlich. Indem Rio+20 zum Startpunkt für diese breite Koalition für einen regelmäßigen Agrarbericht wird, kann die Konferenz der Landwirtschaft einen dauerhaften Platz auf der Agenda verschaffen. Dies garantiert, dass die Landwirtschaft die Aufmerk- samkeit erhält, die ihr gebührt als bedeutender Sektor für die Gestaltung einer nachhaltigen Zukunft.