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24.07.2024 |

Null Fortschritt: 733 Millionen Menschen weltweit chronisch unterernährt

Topf
Die Töpfe blieben bei 733 Millionen Menschen 2023 leer (Foto: CC0/Pixabay)

Es geht einfach nicht voran mit der Hungerbekämpfung: Rund 733 Millionen Menschen auf der Welt waren 2023 chronisch unterernährt. Das sind rund 152 Millionen mehr als im Jahr 2019 vor Ausbruch der COVID-19-Pandemie. So wird es nichts mit den hehren UN-Nachhaltigkeitszielen, die sich die internationale Gemeinschaft 2015 gegeben hat und erst recht nicht mit SDG 2, das die Beseitigung von Hunger und Unterernährung anstrebt. Denn die Hungerzahlen bewegen sich aktuell auf einem Niveau, das dem der Jahre 2008-2009 vergleichbar ist. Fortschritt sieht anders aus. Das müssen auch die fünf UN-Organisationen einräumen, die am 24. Juli mit ‘The State of Food Security and Nutrition in the World 2024’ – kurz SOFI – ihren alljährlichen Bericht zur globalen Hungersituation veröffentlichten. Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO), der Internationale Fonds für landwirtschaftliche Entwicklung (IFAD), UNICEF, das Welternährungsprogramm (WFP) und die Weltgesundheitsorganisation (WHO) berichten, dass die Zahlen im dritten Jahr infolge auf diesem „hartnäckig hohen Niveau“ stagnieren. „Wir haben zwar einige Fortschritte erzielt, aber Verbesserungen waren ungleich verteilt und unzureichend. In den bevölkerungsreicheren Ländern, in denen die Wirtschaft wächst, hat sich die Lage verbessert, aber Hunger, Ernährungsunsicherheit und Mangelernährung nehmen in vielen Ländern der Welt weiter zu“, schreiben die Leiter der fünf UN-Organisationen in ihrem gemeinsamen Vorwort zum Bericht. „Dies betrifft Millionen Menschen, vor allem in ländlichen Gebieten, wo extreme Armut und Ernährungsunsicherheit nach wie vor tief verwurzelt sind. Gefährdete Bevölkerungsgruppen, insbesondere Frauen, Jugendliche und indigene Völker, sind unverhältnismäßig stark betroffen“. Wenn sich die derzeitigen Trends fortsetzen, werden im Jahr 2030 noch etwa 582 Millionen Menschen chronisch unterernährt sein, die Hälfte von ihnen in Afrika, und damit wird das 2. Nachhaltigkeitsziel wohl krachend verfehlt werden.

In der neuen Ausgabe des SOFI-Berichts wird wie in den drei vorigen Berichten eine Spanne für die Zahl der Hungernden angegeben, um der Unsicherheit bei der Datenerhebung Rechnung zu tragen. 2023 waren schätzungsweise zwischen 713 und 757 Millionen Menschen von chronischem Hunger betroffen. Nimmt man die Mitte der Spanne (733 Millionen), so ist die Zahl der unterernährten Menschen seit 2019, als noch 581,3 Millionen hungerten, laut der aktualisierten Datenbasis des Berichts um 26% gestiegen. Der Anteil der an Unterernährung leidenden Menschen stieg von 7,5% im Jahr 2019 auf 9,1% im Jahr 2023 – damit ist jede elfte Person betroffen. Nach Angaben der UN-Organisationen sind die Ursachen für Ernährungsunsicherheit und Mangelernährung „Konflikte, Klimaveränderungen und -extreme, Wirtschaftsflauten und Konjunkturabschwung, fehlender Zugang zu und die Unerschwinglichkeit von gesunder Ernährung, eine ungesunde Ernährung sowie die starke und anhaltende Ungleichheit“.

Die Zahlen zeigen ein starkes Gefälle zwischen und innerhalb der Weltregionen. Afrika ist nach wie vor die am stärksten von Unterernährung betroffene Region: Jeder fünfte Mensch (20,4%) auf dem Kontinent leidet an Hunger – mehr als doppelt so viel wie im globalen Durchschnitt. Auf Asien entfällt hingegen die höchste absolute Zahl: Mehr als die Hälfte (52,4%) der 733 Millionen Menschen, die im Jahr 2023 unterernährt waren, leben in Asien (384,5 Millionen Menschen), gefolgt von Afrika mit 298,4 Millionen (oder 40,7%) sowie Lateinamerika und Karibik mit 41 Millionen (5,6%). In den meisten Subregionen Afrikas nahm der Hunger zwischen 2022 und 2023 zu, mit Ausnahme von Ostafrika und dem südlichen Afrika. In der Subregion Zentralafrika, zu der Länder wie der Tschad und die Demokratische Republik Kongo gehören, stieg der Anteil der unterernährten Menschen an der Bevölkerung um 3,3 Prozentpunkte auf 30,8%. In Ostafrika waren 28,6% von Hunger betroffen. In Asien betrug der Anteil insgesamt 8,1%, wobei er in den Teilregionen Südasien (13,9%) und Westasien (12,4%) deutlich höher war. In Südasien gab es im Vergleich zu den beiden Vorjahren einige Fortschritte, während sich die Lage in Westasien verschlechterte, wo der Hunger seit 2015 zunimmt. In Lateinamerika und der Karibik als Region ging es in den letzten beiden Jahren voran und der Anteil der Unterernährten sank auf 6,1%. Das ist aber vor allem Verbesserungen in Südamerika geschuldet, während der Anteil in der Karibik auf 17,2% stieg.

Der Bericht beleuchtet auch andere ernährungsbezogene Indikatoren, wie moderate und schwere Ernährungsunsicherheit. Moderate Ernährungsunsicherheit wird definiert als „ein Schweregrad der Ernährungsunsicherheit, bei dem Menschen die Ungewissheit haben, ob sie sich mit Lebensmitteln versorgen können“, was bedeutet, dass sie gezwungen sind, zu bestimmten Zeiten im Jahr aufgrund von Mangel an Geld oder anderen Ressourcen Abstriche bei der Qualität und/oder Quantität der verzehrten Lebensmittel zu machen. Insgesamt hatten 28,9% der Weltbevölkerung oder 2,33 Milliarden Menschen 2023 nicht das ganze Jahr über Zugang zu angemessener Nahrung. Das ist ein Anstieg um fast 383 Millionen im Vergleich zu 2015 oder 3,9 Prozentpunkte. Von diesen 2,33 Milliarden Menschen waren 864,1 Millionen von schwerer Ernährungsunsicherheit betroffen, was bedeutet, dass ihnen die Nahrungsmittel ausgingen, sie Hunger litten und im Extremfall einen Tag oder länger nichts zu essen hatten. Dies ist ein Anstieg um fast 310 Millionen Menschen im Vergleich zu 2015. Afrika ist nach wie vor die Region mit dem größten Anteil an Menschen, die von mäßiger oder schwerer Ernährungsunsicherheit betroffen sind – mit 58% ist der Anteil fast doppelt so hoch wie im globalen Durchschnitt. In Afrika und Asien blieb die Situation im Vergleich zu 2022 praktisch unverändert, während sie sich in Ozeanien und in geringerem Maße auch in Nordamerika und Europa verschlechterte. In Lateinamerika hingegen wurden einige Fortschritte verzeichnet.

Auch eine gesunde Ernährung ist für viele Menschen unerschwinglich geworden. Die durchschnittlichen Kosten dafür kletterten 2022 weltweit kaufkraftbereinigt auf 3,96 Internationale Dollar pro Person und Tag, gegenüber 3,56 KKP-Dollar im Jahr 2021. Die Verwerfungen durch die Pandemie und den Krieg in der Ukraine trugen zu einem erheblichen Anstieg der internationalen Lebensmittel- und Energiepreise bei und verschärften den Inflationsdruck. 2022 konnten sich mehr als 2,8 Milliarden Menschen – oder 35,5% der Weltbevölkerung – keine gesunde Ernährung leisten. Die gute Nachricht ist, dass diese Zahl gegenüber 36,5% im Jahr 2021 leicht abnahm. Der Bericht warnt jedoch, dass der Trend nicht in allen Regionen gleich verläuft: „Die Zahl der Menschen, die sich keine gesunde Ernährung leisten können, ist in Asien, Nordamerika und Europa unter das Niveau von vor der Pandemie gesunken, während sie in Afrika deutlich angestiegen ist auf 924,8 Millionen im Jahr 2022, ein Plus von 24,6 Millionen gegenüber 2021 und 73,4 Millionen gegenüber 2019.“ Vergleicht man nach Einkommenskategorien, so ist die Lage für Länder mit niedrigen Einkommen sehr schwierig: In diesen Ländern konnten sich 503,2 Millionen Menschen im Jahr 2022 keine gesunde Ernährung leisten – die höchste Zahl seit 2017. In diesen Ländern war dies für 71,5% unerschwinglich, während der Anteil in Ländern mit hohem Einkommen nur 6,3% betrug.

Der Bericht zeichnet auch ein düsteres Bild von der Ernährungssituation bei Kindern. Schätzungsweise 45 Millionen Kinder unter fünf Jahren (6,8% aller Kinder dieser Altersgruppe) litten an Auszehrung (wasting). Betroffene Kinder sind gefährlich dünn, haben ein geschwächtes Immunsystem und ein höheres Sterberisiko. Zehn Jahre zuvor lag der Anteil bei 7,5% und hat sich damit nur geringfügig verändert. Darüber hinaus waren 148,1 Millionen oder 22,3% aller Kinder unter fünf Jahren in ihrem Wachstum und ihrer Entwicklung zurückgeblieben (stunting), was bedeutet, dass sie aufgrund eines chronischen Mangels an essenziellen Nährstoffen in ihrer Ernährung zu klein für ihr Alter sind. 2012 waren es noch 26,3% bzw. 177,9 Millionen Kindern, aber das Ziel, den Anteil bis 2030 zu halbieren, wird dennoch nicht erreicht werden, da aktuelle Prognosen davon ausgehen, dass dann noch 19,5% aller Kinder unterentwickelt sein werden. Der weltweite Anteil von Übergewicht bei Kindern unter fünf Jahren stagniert und betrug 2022 etwa 5,6%. 37 Millionen Kinder sind betroffen. Bis 2030 werden voraussichtlich 5,7% der Kinder unter fünf Jahren übergewichtig sein und damit wird der Anteil doppelt so hoch sein wie der Zielwert von 3%, den die Staatengemeinschaft für 2030 anvisiert hat.

Um es kurz zu machen: Die Welt befindet sich bei keinem der sieben globalen Ernährungsziele für 2030 im Zeitplan. Die fünf UN-Organisationen sind der Ansicht, dass ein ausreichendes Finanzierungsniveau und ein gleichberechtigter Zugang zu Finanzmitteln zur Bewältigung der Herausforderungen in den Bereichen Ernährungssicherheit und Ernährung unerlässlich sind, damit die notwendigen Maßnahmen ergriffen werden können. Das Schwerpunktpunktthema des diesjährigen SOFI ist daher auf die Finanzierung gerichtet, derer es bedarf, um Hunger und Unterernährung zu beenden. Der Bericht hebt hervor, dass die Länder, die am dringendsten mehr Finanzmittel benötigen, mit erheblichen Problemen beim Zugang zu diesen Mitteln konfrontiert sind. Von den 119 untersuchten Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen haben rund 63% nur begrenzten oder mäßigen Zugang zu Finanzmitteln. Zudem sind die meisten dieser Länder (74%) von einem oder mehreren wichtigen Faktoren betroffen, die zu Ernährungsunsicherheit und Mangelernährung beitragen. „Der schnellste Weg aus Hunger und Armut führt nachweislich über Investitionen in die Landwirtschaft in ländlichen Gebieten“, sagt IFAD-Präsident Alvaro Lario. „Aber die globale und finanzielle Landschaft ist seit der Verabschiedung der Ziele für nachhaltige Entwicklung im Jahr 2015 sehr viel komplexer geworden. Die Überwindung von Hunger und Mangelernährung erfordert mehr und bessere Investitionen.“ (ab)

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