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07.06.2024 |

Leitlinien zum Menschenrecht auf Nahrung im Mittelpunkt

Kochen
Millionen Menschen haben nicht genug Nahrung (Foto: CC0)

Meist fristet das Recht auf angemessene Nahrung ein Schattendasein. Zwar nehmen Öffentlichkeit und Medien zur Kenntnis, wenn ein neuer Bericht zur Welternährungslage erscheint oder Hilfsorganisationen angesichts drohender Hungersnöte – sei es im Sudan, in Gaza oder in anderen von Krieg, Klimawandel und Katastrophen gebeutelten Gegenden der Welt – Alarm schlagen. Wir kennen die Bilder ausgemergelter Kinder, die auf den Bildschirmen ab und zu an uns vorbeihuschen. Viele wissen, dass rund um den Globus mindestens 735 Millionen Menschen chronisch unterernährt sind – Tendenz der letzten Jahre wieder steigend – und dass die Weltgemeinschaft das Ziel, bis 2030 Hunger und Mangelernährung zu beseitigen, wohl krachend verfehlen wird. Doch die wenigsten haben vermutlich schon einmal einen Blick in den Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte geworfen. Und dass die Tatsache, dass Menschen nicht genug Nahrung haben oder gar hungern, in juristischer Hinsicht bedeutet, dass täglich und millionenfach „das grundlegende Recht eines jeden, vor Hunger und Mangelernährung geschützt zu sein“ verletzt wird – ein im Sozialpakt seit 1966 völkerrechtlich verbrieftes Menschenrecht –, dürfte vielen nicht bewusst sein. Einmal abgesehen von den NGOs und Menschenrechtsorganisationen sowie engagierten Expert*innen, die sich seit Jahrzehnten für die Anerkennung und Verwirklichung des Rechts auf Nahrung einsetzen sowie dafür, dass Politiker*innen nicht nur in Sonntagsreden die Beseitigung von Hunger und Mangelernährung geloben, sondern Staaten sich konkret dazu verpflichten. Aktuell rückt das Recht auf Nahrung jedoch wieder etwas stärker ins Rampenlicht, denn 2024 steht der 20. Geburtstag eines Dokuments an, das ein Meilenstein war für die Präzisierung dessen, was das Recht auf Nahrung ausmacht und was Staaten tun können und müssen, um es für all ihre Bürger*innen zu gewährleisten: Gemeint sind die von der Welternährungsorganisation FAO 2004 in Rom verabschiedeten Freiwilligen Leitlinien für das Recht auf angemessene Nahrung, die für viele Bereiche, wie z.B. Zugang zu Ressourcen (wie Land, Wasser, Saatgut und Kapital), Ernährung, Bildung, Finanzen oder soziale Sicherungssysteme, Empfehlungen geben und konkrete Maßnahmen vorschlagen, damit das Recht auf Nahrung kein Papiertiger bleibt, sondern verwirklicht werden kann.

Der eigentliche Geburtstag der Leitlinien ist zwar erst im November, doch schon jetzt stellte das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) sie in den Mittelpunkt der Sonderkonferenz „Politik gegen Hunger“, die am 04. und 05. Juni in Berlin stattfand. Seit 2001 kommen in diesem Forum Vertreter*innen aus Politik und Verwaltung, internationalen Organisationen, Zivilgesellschaft und Wissenschaft zusammen, um sich mit globalen Ernährungsfragen zu befassen. Dieses Jahr trafen sich also 200 Teilnehmer*innen aus 38 Ländern unter dem Motto „Twenty Years of Action: Advancing the Human Right to Food”, um darüber zu diskutieren, was die „Freiwilligen Leitlinien zur Unterstützung der schrittweisen Verwirklichung des Rechts auf Nahrung im Kontext nationaler Ernährungssicherung“ bewirken konnten und durch welche Herausforderungen das Recht auf Nahrung bedroht ist. „Die Weltgemeinschaft hat das Versprechen abgegeben, den globalen Hunger zu beenden. Mit der Konferenz wollen wir Perspektiven aufzeigen für nachhaltigere, widerstandsfähigere und gerechtere Ernährungssysteme“, ließ Bundesminister Cem Özdemir zur Eröffnung der Konferenz verlauten. „Wir müssen aber auch feststellen, dass dieses Ziel durch Klimakrise, Kriege und Konflikte bedroht wird“, räumte er ein. Dass diese Krisen allesamt menschengemacht sind, heiße aber auch im Umkehrschluss, „dass wir es in der Hand haben“. Neben zahlreichen Vorträgen und Paneldiskussionen fanden auch sechs Arbeitsgruppen statt, in denen beraten wurde, wie eine Agenda für die Umsetzung des Rechts auf Nahrung bis 2034 aussehen könnte und was die verschiedenen Stakeholder-Gruppen dazu beitragen könnten. Am Ende der Konferenz überreichte Michael Windfuhr vom Deutschen Institut für Menschenrechte dem BMEL sowie der Vorsitzenden des UN-Welternährungsausschusses CFS, Nosipho Nausca-Jean Jezile, die gemeinsamen Erkenntnisse und Empfehlungen der Konferenzteilnehmenden. Die BMEL kündigte an, die Ergebnisse bei der 52. Plenardebatte des CFS im Oktober 2024 einfließen zu lassen und den Ausschuss dabei zu unterstützen, „im Jubiläumsjahr ein entschlossenes Bekenntnis zur Stärkung des Rechts auf Nahrung zu formulieren“.

Im Vorfeld der Konferenz hob Sarah Luisa Brand, Expertin zum Recht auf Nahrung beim Deutschen Institut für Menschenrechte, die Bedeutung der Leitlinien in einem Interview hervor: „Die Erarbeitung der Leitlinien war bahnbrechend: Zum ersten Mal gelang es, ein zwischenstaatlich abgestimmtes und mit aktiver Beteiligung der Zivilgesellschaft erarbeitetes Dokument zu entwickeln, das sich der konkreten Umsetzung eines der im UN-Sozialpakt anerkannten Rechte widmet“, erläutert sie. Die Leitlinien hätten zudem „die Entwicklung weiterer Instrumente durch die Vereinten Nationen gefördert, sodass Staaten heute auf verschiedene Orientierungshilfen für die Umsetzung des Rechtes auf Nahrung zurückgreifen können.“ Als aktuelle Herausforderungen beim weltweiten Kampf gegen Hunger betrachtet sie, dass Hunger, Fehl- und Mangelernährung wieder zunehmen infolge der Covid 19-Pandemie und der aktuellen bewaffneten Konflikte. Aber auch der Klimawandel und der Verlust an Biodiversität bedrohe die Ernährungssicherheit weltweit. „Um alle Menschen weltweit ernähren zu können müssen die Agrar- und Ernährungssysteme weltweit verändert werden – hin zu mehr Partizipation, Biodiversität, Nachhaltigkeit und lokaler Produktion. Die Politik muss dafür sorgen, dass die lokale, kleinbäuerliche Produktion gefördert und Ressourcen stärker geschont werden, und dass qualitativ hochwertige Nahrung für alle erschwinglich ist“, fordert Brand. Auch die internationale Zusammenarbeit spiele eine wichtige Rolle: „Länder, die von Nahrungsmittelimporten abhängig sind, sollten ihre Eigenversorgung und Reserven erhöhen können, so dass temporäre Preisschwankungen auf den internationalen Märkten keine dramatischen Auswirkungen auf die Nahrungssicherheit haben.“

Auch das Global Network for the Right to Food and Nutrition, dem mehrere zivilgesellschaftliche Organisationen aus der ganzen Welt angehören, meldet sich anlässlich des nahenden 20. Jahrestages der UN-Leitlinien mit einer Erklärung zu Wort. Initiiert wurde diese von der Menschenrechtsorganisation FIAN und dem evangelischen Hilfswerk Brot für die Welt und ausgearbeitet wurde sie auf dem Weltsozialforums 2024 in Kathmandu im Februar auf einer Veranstaltung zu den Leitlinien. Das Netzwerk fordert in der Erklärung die sofortige und umfassende Umsetzung der Leitlinien unter angemessener Berücksichtigung und Anwendung der seit ihrer Verabschiedung im Jahr 2004 erzielten Fortschritte des normativen und rechtlichen Rahmens für das Menschenrecht auf angemessene Nahrung und Ernährung. „Heute erkennen 29 Länder das Recht auf angemessene Ernährung ausdrücklich in ihren Verfassungen an, während mehr als 100 Länder es implizit oder durch Richtlinien, Grundsätze oder andere einschlägige Bestimmungen anerkennen“, betont das Netzwerk und lobt die Vorreiterrolle Nepals: „Die Verfassung des Landes garantiert das Recht auf Nahrung und Ernährungssouveränität und 2018 wurde ein entsprechendes Gesetz verabschiedet. Das Gesetz sieht institutionelle Mechanismen auf nationaler, provinzieller und lokaler Ebene sowie die koordinierte Entwicklung eines nationalen Ernährungsplans vor.“ Eine Verordnung zur Umsetzung des Gesetzes wurde von der Regierung im März 2024 verabschiedet. Das Land konzentriert seine Bemühungen darauf, den Anteil der unterernährten Bevölkerung seit 2018 um die Hälfte zu reduzieren, und liegt derzeit auf Platz 69 von 125 Ländern im Welthungerindex. Andere Länder in Südostasien seien hier weniger motiviert. In Bangladesch stehe die Verabschiedung eines bereits seit 2016 fertig entworfenen Gesetzes zum Recht auf Nahrung aus. In Indien sei die Hungersituation trotz einer Reihe positiver Entwicklungen, wie der Anerkennung des Rechts auf Nahrung als Grundrecht durch den Obersten Gerichtshof 2001 und die Verabschiedung des National Food Security Act von 2013, ernst, und das Land belegt im Welthungerindex Platz 111. „Wir fordern die Regierungen auf, sich stärker für die Verwirklichung des Rechts auf Nahrung und Ernährung und die Beendigung von Hunger und Unterernährung zu engagieren, indem sie die internationalen Menschenrechtsbestimmungen in ihre nationalen Gesetze, Vorschriften, Strategien und Programme aufnehmen. Dazu gehört die Schaffung von Mechanismen für die Rechenschaftspflicht, die Gewährleistung einer sinnvollen Beteiligung der betroffenen Gemeinschaften an Entscheidungsprozessen und die Einrichtung transparenter Systeme zur Überwachung und Behebung von Verstößen gegen das Recht auf Nahrung“, heißt es in der Erklärung, der sich mehrere Organisationen und Einzelpersonen angeschlossen haben. Bleibt also zu hoffen, dass dem Recht auf Nahrung in diesem Jahr ausgiebig Aufmerksamkeit zuteil wird – und dass Taten folgen! (ab)

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