Nachricht
09.01.2024 | permalink
Benötigt, begehrt, degradiert: Bodenatlas fordert mehr Bodenschutz
Gesunde Böden sind für unsere Ernährung und die Bewältigung der Klima- und Biodiversitätskrise von elementarer Bedeutung, doch der Zustand dieser überlebenswichtigen Ressource verschlechtert sich zunehmend – sei es weltweit, in Europa oder auch Deutschland. Land wird zu einer immer härter umkämpften Ressource und die ungleiche Verteilung von Boden ist nicht selten Ursache für Konflikte und Gewalt. Auf diese Zusammenhänge macht der Bodenatlas 2024 aufmerksam, der am 9. Januar von der Heinrich-Böll-Stiftung, dem Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) und der Forschungsorganisation TMG - Think Tank for Sustainability veröffentlicht wurde. „Mit diesem Atlas wollen wir auf eine Ressource aufmerksam machen, die bei der Bewältigung vieler globaler Krisen eine Schlüsselfunktion innehat: unsere Böden“, schreiben die Leiter*innen der drei Organisationen im Vorwort der Publikation. Gerade in der internationalen Klimadebatte komme Böden zunehmend eine Schlüsselrolle zu, wodurch sich die Verteilungskonflikte um Land zuspitzten und dabei gerade jene oft den Kürzeren ziehen, deren Lebensunterhalt von Böden abhängt. „Weltweit hungern immer mehr Menschen. Das Ziel, den Hunger bis 2030 zu überwinden, ist in weite Ferne gerückt. Menschen in ländlichen Regionen sind besonders betroffen. Für sie ist der Zugang zu gesunden, fruchtbaren Böden ein zentraler Faktor, um sich aus Hunger und Armut zu befreien“, betonen die Herausgeber*innen.
Der Bodenatlas 2024 liefert auf 50 Seiten viele Zahlen, Daten und Fakten rund um das Thema Boden, unterfüttert mit 53 Grafiken sowie Quellenangaben. 2015 erschien die erste Ausgabe, doch seither hat sich einiges getan. Die ersten Kapitel streichen zunächst die Funktionen des Ökosystems Boden als Grundlage des Lebens heraus. „Ohne Boden und seine unschätzbar wertvollen Eigenschaften ist unser Dasein nicht denkbar“, heißt es dort. Eine Grafik beleuchtet den Artenreichtum unter der Oberfläche, wo sich unzählige Tiere und Mikroorganismen tummeln. „Unter einem Hektar Land leben 15 Tonnen Bodenlebewesen – das entspricht dem Gewicht von 20 Kühen. Eine Handvoll Boden kann mehr Lebewesen enthalten, als Menschen auf der Erde leben“, illustriert der BUND-Vorsitzende Olaf Bandt diese Vielfalt. Zudem dienen Böden als natürliche Wasserspeicher und können so die Auswirkungen der Klimakrise wie Trockenheit, Starkregen und Überschwemmungen abmildern – aber eben nur, wenn sie intakt sind. Böden speichern bis zu 3.750 Tonnen Wasser pro Hektar und geben dieses nach Bedarf wieder ab, erklärt Dr. Imme Scholz, Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung, anlässlich der Veröffentlichung des Atlas. Aber der Flächenfraß für Infrastruktur, Industrie und Wohnraum bedingt, dass Boden als Wasserspeicher verloren geht. „Durch Versiegelung, aber auch industrielle Formen der Landwirtschaft geht die Fähigkeit von Böden, Wasser aufzunehmen, zurück – mit verheerenden Folgen, wie wir aktuell an der Hochwasserkatastrophe in Niedersachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen sehen“, so Dr. Scholz.
Die Kapitel zu Bodendegradation und Desertifikation blicken auf den aktuellen Zustand unserer Böden. Weltweit nimmt die Bodendegradation seit Jahrzehnten zu und circa ein Viertel der globalen, eisfreien Landfläche ist von menschlich verursachter Degradation betroffen. Auf landwirtschaftlich genutzten Flächen ist die Lage noch viel dramatischer: mehr als ein Drittel gelten als degradiert. In der Europäischen Union sind mittlerweile über 60% der Böden geschädigt. Jährlich gehen in der EU bereits jetzt ungefähr eine Milliarde Tonnen Boden aufgrund von Erosion durch Wasser verloren. Geschätzte Kosten: etwa 1,25 Milliarden Euro jährlich durch den Verlust an landwirtschaftlicher Produktivität. Doch auch die extremste Form von Bodendegradation, die Desertifikation, ist längst nicht mehr nur ein Problem in Afrikas Sahelzone oder den Wüsten Asiens – auch in Europa entstehen unfruchtbare, wüste Landschaften. Dr. Scholz verweist darauf, dass die Wüstenbildung durch intensive Landwirtschaft und die Klimakrise zunehme – auch in Europa: „Dreizehn EU-Mitgliedstaaten sind mittlerweile betroffen. Und zwar nicht nur Südeuropa, sondern auch Länder mit gemäßigtem und feuchtem Klima wie Ungarn und Bulgarien.“ Insgesamt sind 23% des Gebiets der EU moderat und 8% hoch bis sehr hoch empfindlich gegenüber Wüstenbildung. Meist ist Spanien im Blick der Berichterstattung, wo immer mehr Wasser für den Anbau von Obst und Gemüse für den europäischen Markt genutzt wird: Zwischen 2010 und 2016 habe sich der Grundwasserverbrauch für die Bewässerung hochprofitabler Produkte wie Erdbeeren, Salat oder Brokkoli von 4% auf 22% mehr als verfünffacht, heißt es im Atlas. Auch in Deutschland weist mindestens ein Fünftel der landwirtschaftlichen Flächen sehr starke Bodenerosion auf.
Im Zentrum des Bodenatlasses stehen auch die Nutzungskonflikte, die sich in puncto Boden ergeben. Ein Kapitel widmet sich dem schon lange diskutierten Dilemma Teller oder Futtertrog und hebt die Vorteile einer auf pflanzlichen Produkten basierten Ernährung hervor, die es ermöglicht, die Flächen für Futtermittel anderweitig zu nutzen und so Umwelt und Klima zu schonen. Auch Land Grabbing, der Kampf um fruchtbares Ackerland, der für die lokale Bevölkerung oft in Vertreibung und Armut mündet, ist Thema des aktuellen Bodenatlas. Hier wird aufgezeigt, dass auch Deutschland an dieser Landnahme beteiligt ist, während hierzulande zugleich der Run auf Land zunimmt, wobei kleine und mittlere Betriebe zunehmend unter die Räder kommen. Eine sich verstärkende Tendenz ist der Kampf um Boden im Namen des Klimaschutzes: „Aufgrund der Fähigkeit von Böden, das Klimagas CO2 zu speichern, und des Flächenbedarfs für Klimaschutzmaßnahmen wie etwa Aufforstung erlangen Böden eine immer größere Bedeutung in der internationalen Klimadebatte“, erklärt Dr. Jes Weigelt, stellvertretender Geschäftsführer von TMG. „Denn Böden sind die größten CO2-Speicher an Land. Gleichzeitig benötigen die geplanten Klimaschutzmaßnahmen aller Länder rechnerisch 1,2 Milliarden Hektar Land – eine Fläche dreimal so groß wie die EU.“ Eine Zunahme an Konflikten um Land und Boden sei daher vorprogrammiert. „Um dem Netto-Null-Ziel näher zu kommen, müssen auf etwa 550 Millionen Hektar beschädigte Ökosysteme restauriert werden – und auf etwa 630 Millionen Hektar wird voraussichtlich eine Änderung der Landnutzung erforderlich“, heißt es im Kapitel „Benötigter, begehrter, umkämpfter Boden“. Dies bedeute etwa die Umwandlung von Agrar- in Forstland, wodurch die bestehenden Landrechte von Bäuer*innen, Hirt*innen und indigenen Gemeinschaften verletzt werden könnten, wie es bei großen Klimaprojekten in der Vergangenheit bereits geschah. „Nur wenn politisch kohärente, auf den Menschenrechten basierende Maßnahmen zu Nutzung und Erhalt der Böden entwickelt werden, können wir diese Konflikte verhindern und gleichzeitig die Klimaziele erreichen“, betont Weigelt.
All das und noch viele weitere Kapitel und Themen sind in der Broschüre enthalten, die auf den Webseiten der Herausgeber heruntergeladen oder als Druckexemplar bestellt werden kann. Doch die Autor*innen bemängeln nicht nur den Status quo, sondern liefern auch Anregungen, was getan werden kann, um die Böden fruchtbar zu halten oder wiederherzustellen. „Agrarökologische Methoden der Landwirtschaft fördern nachhaltig die Bodenfruchtbarkeit“, betont Dr. Scholz. „Agrarökologische Betriebe haben zudem eins gemeinsam: Sie erhöhen die Unabhängigkeit und Resilienz der Betriebe.“ Die Herausgeber mahnen im Vorwort, dass national und international neue Wege zum Schutz und zur nachhaltigen Nutzung von Böden gefunden werden müssen. „Deutschland hat auf dem Nachhaltigkeitsgipfel der Vereinten Nationen im Jahr 2015 in New York die Agenda 2030 mit verabschiedet. Eines der dort beschlossenen Nachhaltigkeitsziele lautet, den neu entstehenden Verlust an fruchtbaren Böden auszugleichen.“ Bei der anstehenden Novellierung des Bundesbodenschutzgesetzes müsse daher das Vorsorgeprinzip und der Schutz vor einer Verschlechterung des Bodenzustands stärker berücksichtigt werden, fordern sie. Olaf Bandt verweist darauf, dass Landwirt*innen besser beim Bodenschutz unterstützt werden sollten. Auch die Gemeinsame Agrarpolitik als Förderinstrument der EU müsse Ökosystemleistungen auch für den Boden zukünftig stärker honorieren. „Nachhaltige Flächennutzung kommt nicht nur der Natur zu Gute, sondern schützt unsere Lebensgrundlage Boden und erhöht die Resilienz gegenüber Auswirkungen der Klima- und Biodiversitätskrise“, so Bandt. (ab)