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04.05.2023 | permalink
Natürliche Ressourcen: Deutschland lebt schon ab 4. Mai auf Pump
Wenn alle Länder so leben und wirtschaften würden wie Deutschland, wären drei Erden nötig, um diesen Konsum zu decken. 2023 haben die Deutschen die für dieses Jahr nachhaltig nutzbaren Ressourcen und ökologisch verkraftbaren CO2-Emissionen schon am 4. Mai voll beansprucht und leben den Rest des Jahres wieder über das Budget hinaus. Das zeigen aktuelle Berechnungen der internationalen Nachhaltigkeitsorganisation „Global Footprint Network“. Diese berechnet alljährlich sowohl nationale Overshoot Days als auch den globalen Erdüberlastungstag, der 2022 auf den 28. Juli fiel. Die Berechnungen basieren auf den „National Footprint and Biocapacity Accounts“ (NFA), die sich wiederum auf UN-Datensätze stützen. Es werden zwei Größen gegenübergestellt: einerseits die biologische Kapazität der Erde zum Aufbau von Ressourcen sowie zur Aufnahme von Müll und Emissionen und andererseits der ökologische Fußabdruck – der Bedarf an Acker-, Weide- und Bauflächen, die Entnahme von Holz, Fasern oder Fisch, aber auch der CO2-Ausstoß und die Müllproduktion. Deutsche Nichtregierungsorganisationen fordern angesichts des frühen Overshoot Day eine Wende in zahlreichen Politikbereichen und kritisieren den hohen Ressourcenverbrauch. „Es ist eine absolute Ungerechtigkeit: Ab heute leben wir auf Kosten der Menschen im Globalen Süden und unserer Kinder! Während die Folgen unseres Konsums und Wirtschaftens vor allem die Menschen im Globalen Süden und nachfolgende Generationen treffen, verpasst die deutsche Bundesregierung die Rohstoffwende“, bemängelt etwa Julius Neu, Referent für Rohstoffpolitik, Wirtschaft und Menschenrechte beim entwicklungspolitischen INKOTA-netzwerk.
INKOTA fordert von der Bundesregierung mehr Einsatz für die Einleitung einer Rohstoffwende und die absolute Senkung des metallischen Rohstoffverbrauchs. Nur durch die Verringerung des Verbrauchs auf ein global gerechtes Maß könne es gelingen, Menschenrechtsverletzungen, die weitere Umweltzerstörung und eine Verschärfung der Klimakrise durch den Rohstoffabbau zu verhindern. „Die Bundesregierung muss in der deutschen Kreislaufwirtschaftsstrategie und dem kommenden EU-Rohstoffgesetz die Senkung des Rohstoffverbrauchs verbindlich verankern“, betont Julius Neu. Die EU verhandelt derzeit über ein EU-Rohstoffgesetz, den EU Critical Raw Materials Act. Er soll für europäische Unternehmen den Zugang zu kritischen Rohstoffen, die für sogenannte grüne und digitale Zukunftstechnologien benötigt werden, sicherstellen. Mitte März veröffentlichte die EU-Kommission ihren Entwurf für das Gesetz. INKOTA will erreichen, dass nicht nur die Interessen von Unternehmen im Fokus stehen, sondern auch Menschenrechte und Umweltschutz. „Der europäische Green Deal darf nicht auf Kosten des Globalen Südens gehen. Es ist in unserer Verantwortung, nicht nur auf uns zu schauen, sondern auch die Stimmen der Menschen zu hören, auf deren Kosten wir ab dem 4. Mai leben“, unterstreicht Neu. Die Bundesregierung müsse auf die gesetzliche Verankerung von menschenrechtlichen und umweltbezogenen Sorgfaltspflichten im EU-Rohstoffgesetz bestehen. „Unternehmen, die die Rohstoffe nutzen, müssen bis zur Mine in die Verantwortung genommen werden und dürfen diese nicht an Industrieinitiativen auslagern“, so INKOTA.
Auch die Umwelt- und Entwicklungsorganisation Germanwatch fordert eine möglichst umfangreiche Verringerung des Ressourcenverbrauchs sowohl bei nachwachsenden als auch nicht nachwachsenden Rohstoffen. Dafür sei eine ganzheitliche Kreislaufwirtschaft ein wichtiger Hebel. „Dies bedeutet im Kern: 1. Den benötigten Einsatz von Energie und Rohstoffen bei der Herstellung senken 2. Produkte langlebig und länger nutzbar machen, zum Beispiel durch reparaturfähiges und haltbares Produktdesign und ein effektives Recht auf Reparatur, welches die Wiederverwendung attraktiver macht als den Neukauf. Und 3. die Wiedergewinnung möglichst vieler Materialien über hochwertiges Recycling“, schreibt die NGO in ihrer Pressemitteilung zum deutschen Overshoot Day.„Bundesregierung und EU müssen ihre Politik wirksam auf eine Kreislaufwirtschaft ausrichten“, sagt Luisa Denter, Referentin für Ressourcenpolitik und zirkuläres Wirtschaften bei Germanwatch. Es gebe aktuell viele Ansätze, wie eine Nationale Kreislaufwirtschaftsstrategie in Deutschland oder eine Ökodesignrichtlinie und ein Recht auf Reparatur in der EU. „Aber wir beobachten oft, dass zunächst ambitionierte Vorhaben am Ende nur die kurzfristigen Potentiale abgrasen und die größeren, wirksamsten Hebel liegen lassen. Das muss sich ändern“, fordert Denter.
Germanwatch nennt als wichtigen Hebel auch die Verringerung der Treibhausgasemissionen im Flugverkehr, da Fliegen die mit Abstand klimaschädlichste Reiseart sei, da die Emissionen pro Fahrgast und Kilometer viel größer als beim Bahnfahren sind. Zudem seien die Emissionen im Flugverkehr rund dreimal so klimaschädlich wie die gleiche Emissionsmenge am Boden, da in großer Höhe Effekte wie Kondensstreifen den Schaden vervielfachen. Die Fluggesellschaften seien auch noch deutlich weiter von klimaverträglichen Antriebsarten entfernt als jede andere Verkehrsart. Insgesamt seien Bahn- und Busreisen im Inland pro Kilometer etwa sechsmal klimafreundlicher als Flugreisen. Es besteht zudem keine Notwendigkeit für Flüge auf Strecken unter 500 Kilometern, die auch zügig per Bahn bewältigt werden können. „Die Bahn sollte auch auf grenzüberschreitenden Strecken in Europa das bevorzugte Reisemittel werden – das würde Reisen deutlich energieeffizienter und klimafreundlicher machen“, sagt Jacob Rohm, Referent für klimafreundliche Mobilität bei Germanwatch. „Damit der Wandel vom Flug zur Schiene gelingt, brauchen wir einen Ausbau der Direktverbindungen zwischen europäischen Metropolen am Tag und in der Nacht sowie einfachere internationale Ticketbuchungen“, erklärt Rohm. Zudem müssten im Flugverkehr alle klimaschädlichen Subventionen, wie das Fehlen einer Kerosinsteuer, abgebaut werden.
Deutschland liegt mit seinem Pro-Kopf-Verbrauch und seinen Emissionen im obersten Viertel aller Länder. Katar und Luxemburg haben ihre nationalen Erdüberlastungstage bereits Mitte Februar erreicht. Kanada, die USA, die Vereinigten Arabischen Emirate und Australien waren schon im März soweit und auch die skandinavischen Länder und Österreich hatten ihr Budget schon vor Deutschland überzogen. Länder wie Ecuador und Jamaica hingegen kommen bis in den Dezember hinein mit den in demselben Jahr nachhaltig regenerierbaren Ressourcen aus. Die deutschen Organisationen betonen, dass es bereits einige positive Ansätze hierzulande gebe, um den Overshoot im Kalender weiter nach hinten zu schieben. Aber wenn wir die Anstrengungen nicht massiv beschleunigten, werde es noch Jahrzehnte dauern, um zu einer nachhaltigen Lebensweise zu finden – mit den schwerwiegendsten Folgen dieser jahrzehntelangen Übernutzung. „Jede:r kann den eigenen ökologischen Fußabdruck über die Art zu konsumieren, mobil zu sein oder zu wohnen verkleinern, aber die Wende zur Nachhaltigkeit gelingt nur über die Veränderung der Rahmenbedingungen für alle“, betont Germanwatch. (ab)