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11.01.2023 | permalink
Mooratlas 2023: Moorschutz bedeutet Klima- und Artenschutz
Natürliche Moore beherbergen seltene Pflanzen und Tiere und speichern enorme Menge Kohlenstoff im Torfboden. Da sie jedoch aus wirtschaftlichen Gründen entwässert und zerstört werden, setzen sie große Mengen des Treibhausgases CO₂ frei und belasten das Klima. Darauf macht der Mooratlas 2023 aufmerksam, der am 10. Januar von der Heinrich-Böll-Stiftung, dem Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) und der Michael Succow Stiftung, Partner im Greifswald Moor Centrum veröffentlicht wurde. Die Trockenlegung von Mooren ist mit über zwei Milliarden Tonnen CO2 für rund 4 Prozent aller menschengemachten Emissionen verantwortlich. Die landwirtschaftliche Nutzung macht einen großen Anteil aus. Für die Klimakrise und das Artensterben wirkt die fortschreitende Moorzerstörung wie ein Brandbeschleuniger, warnen die Herausgeber der Publikation. „Um das im Pariser Klimaschutzabkommen vereinbarte 1,5 Grad-Ziel zu erreichen, müssen bis 2050 die globalen Netto-Emissionen auf null gesenkt werden. Dafür werden insbesondere auch intakte Moore als Senken benötigt“, erklärte Dr. Imme Scholz, Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung. Sie nennt auch konkrete Zahlen: „Die Europäische Union muss 500.000 Hektar pro Jahr wiedervernässen, weltweit müssen zwei Millionen Hektar pro Jahr wiedervernässt werden.“ In Deutschland wäre eine jährliche Wiedervernässung von mindestens 50.000 Hektar Moorböden nötig, um die Klimaziele zu erreichen – eine Fläche fast so groß wie der Bodensee.
Der Mooratlas beleuchtet auf 50 Seiten und mit 52 Grafiken die Geschichte der Moore, ihre Bedeutung als Lebensräume und für den Klimaschutz sowie ihre Zerstörung und die damit verbundenen Folgen auf lokaler und globaler Ebene. Die Autor*innen erklären aber auch, wie Moore geschützt und ihre Funktionsfähigkeit wieder hergestellt werden kann. Über Jahrtausende haben sich in Mooren mächtige Torfschichten angehäuft. Moore entstehen dort, wo der Boden ganzjährig nass ist. Dadurch werden abgestorbene Pflanzenteile nicht vollständig zersetzt und sie werden unter Luftabschluss konserviert. Der so entstehende Torf wächst im Durchschnitt um rund einen Millimeter pro Jahr und besteht zu mehr als 50 % aus Kohlenstoff. Obwohl Moore nur 3 Prozent der weltweiten Landfläche bedecken, speichern sie mit rund 600 Milliarden Tonnen mehr Kohlenstoff als jedes andere Ökosystem. In der Biomasse aller Wälder der Erde, die 27 % der globalen Landfläche ausmachen, sind nur 372 Milliarden Tonnen Kohlenstoff gespeichert. Allein in Deutschland speichern Moore 1,3 Milliarden Tonnen Kohlenstoff. Doch seit dem 17. Jahrhundert werden Moore systematisch entwässert für den Torfabbau, Siedlungen sowie für die Forst- und Landwirtschaft. Seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hat die Industrialisierung der Landwirtschaft die großflächige Entwässerung vor allem in der gemäßigten Klimazone der Nordhalbkugel noch einmal stark beschleunigt. In einigen Industriestaaten sind nur noch wenige natürliche Moore erhalten. Bereits jetzt sind laut Mooratlas weltweit über 10% der 500 Millionen Hektar Moore entwässert und so zerstört, dass kein neuer Torf mehr gebildet wird und der noch existierende verschwindet. Jedes Jahr gehen weitere 500.000 Hektar Moor durch menschliche Aktivitäten verloren. In Mitteleuropa sind über 90 Prozent der Moore zerstört.
Die weltweit größte Gefahr für Moore ist die künstliche Entwässerung und Entwaldung für die Land- und Forstwirtschaft sowie den Torfabbau, heißt es in der Publikation. Brände und die Klimakrise bedrohen die Moore aber ebenfalls. Über die Hälfte der bekannten tropischen Moore liegen in Südostasien. Viele von ihnen sind trockengelegt und degradiert. In der Region wurden in den letzten 20 Jahren vor allem in Indonesien und Malaysia in großem Umfang Moorwälder in Palmöl- und Akazienplantagen umgewandelt. Die globale Produktion von Palmöl stieg von knapp 15 Millionen Tonnen im Jahr 1994 auf über 74 Millionen Tonnen in 2019. Grund ist die zunehmende Verwendung von Palmöl als Kraftstoff und in Lebens-, Wasch- und Reinigungsmitteln. Gerade in Südostasien häufen sich immer wieder unkontrollierte großflächige Land- und Waldbrände: Feuchte Moorflächen brennen unter natürlichen Umständen nicht, aber sehr wohl im trockengelegten Zustand. Oft lassen große Konzerne – oft legale und auch illegale – Brandrodungen durchführen, um neuen Platz für Plantagen zu gewinnen. Auch der Torfabbau trägt zum Schwinden der Moore bei, doch gerade auch die Klimakrise verschärft die Zerstörung der Moore. Zum einen werden viele der trockengelegten Moorflächen noch anfälliger für Waldbrände. Zum anderen gefährdet die Klimakrise Permafrostböden, die quasi gefrorene Moore sind. „Tauen sie auf, zersetzt sich ihre organische Substanz – und Kohlenstoff wird als CO₂ freigesetzt, genauso wie Methan (CH₄). In der Arktis, wo sich die meisten Permafrostböden befinden, ist die Temperatur in den letzten 40 Jahren fast viermal so schnell gestiegen wie im globalen Durchschnitt“, heißt es im Mooratlas.
Moore tragen also nur zum Klimaschutz bei, solange sie intakt sind. Obwohl entwässerte Moore weniger als ein halbes Prozent der Landfläche der Erde ausmachen, sind sie für etwa 4 % aller weltweiten menschlichen Emissionen verantwortlich. Die weltweite Entwässerung von Mooren verursacht deutlich mehr CO2-Emissionen als der globale Flugverkehr. Entwässerte Moorböden emittieren weltweit pro Jahr über 1,9 Milliarden Tonnen CO₂-Äquivalente. Fast 90 % davon macht CO₂ aus, der Rest stammt von Methan und Lachgas. Hinzu kommen Emissionen aus Torfbränden. Deren genaue Menge schwankt stark und lässt sich nicht exakt beziffern, erläutern die Autor*innen, aber im Schnitt dürften es zwischen 500 Millionen und einer Milliarde Tonnen CO₂-Äquivalente pro Jahr sein. Den höchsten Anteil an den globalen Emissionen aus entwässerten Mooren verursacht Indonesien mit 34,4 %, gefolgt von Russland mit 11,9% und der EU mit 11,8% sowie China mit 7,2% und Malaysia mit 4,7%. Innerhalb der EU entfällt die Hälfte der Emissionen auf Deutschland, Finnland und Polen und der überwiegende Teil davon stammt von landwirtschaftlich genutzten Flächen. „Dabei stehen wir in Europa auch als industrielle Nachfrager für die in anderen Regionen der Welt auf zerstörten Moorregenwaldflächen produzierten Güter wie Hölzer, Zellstoff oder Palmöl in der Verantwortung“, betont Dr. Imme Scholz. „In Deutschland sind trockengelegte Moore für etwa sieben Prozent aller Treibhausgasemissionen, in der Landwirtschaft sogar für über 37 Prozent aller Treibhausgase verantwortlich“, fügt sie hinzu. Der Abbau und Verbrauch von Torf ist besonders klimaschädlich. In der EU schlägt er mit Emissionen in von circa 21,4 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalenten pro Jahr zu Buche. Das entspricht etwa einem Sechstel aller Emissionen aus Moorböden. Doch der Abbau von Torf verursacht im Vergleich zu allen anderen Moornutzungen die höchsten Emissionen pro Hektar, weil der Kohlenstoff bei Torfnutzung besonders schnell freigesetzt wird.
Damit Moor- und somit auch der Klimaschutz gelingt, ist eine tiefgreifende Transformation der landwirtschaftlichen Betriebsstrukturen nötig, betonen die Herausgeber des Mooratlases. Auch die Tierhaltung auf trockenen Moorflächen müsse reduziert werden. Für die nasse Nutzung großer Moorgebiete sind Alternativen zur herkömmlichen intensiven Landwirtschaft gefragt, die landwirtschaftliche Nutzung mit dem Schutz des Klimas und der Biodiversität verbindet und diese müssen finanziell gefördert werden. „Intakte Moorökosysteme können auch weltweit erhalten bleiben, wenn es gelingt, effektive und überprüfbare Schutzmaßnahmen gegen Übernutzung und Zerstörung zu treffen – dazu gehört auch, unseren Verbrauch von Rohstoffen von entwässerten Moorregenwäldern zu reduzieren und in einer effektiven Lieferkettenverfolgung verbindlich auf Moor- und somit auch Klimaschutz zu zertifizieren“, sagt Scholz. Darüber hinaus seien schnellstmöglich auch internationale Abkommen zum Schutz und der Wiederherstellung von Mooren nötig, die sowohl die unkontrollierte Übernutzung beenden wie auch den Erhalt, die Restaurierung und die nachhaltige Bewirtschaftung von Mooren weltweit rechtsverbindlich festlegen. Bisher gibt es nur ein einziges Abkommen, das den Moorschutz im Fokus hat: Die Ramsar-Konvention entstand bereits 1971, ist aber nicht rechtlich verbindlich. Auf freiwilliger Basis gehören ihr 172 Staaten an, darunter auch Deutschland. Sie führt eine Liste mit international bedeutenden Feuchtgebieten und schützenswerten Flächen. Mittlerweile machen Moorflächen auf der Ramsar-Liste rund ein Viertel der aufgeführten Feuchtgebiete aus.
„In Deutschland sind weit über 90 Prozent der Moore bereits trockengelegt und geschädigt. Um die globalen Klimaziele zu erreichen, müssen in Deutschland jährlich mindestens 50.000 Hektar Moorböden wiedervernässt werden – eine Fläche fast so groß wie der Bodensee“, sagt Jan Peters, Geschäftsführer der Michael Succow Stiftung. Vergleichbar sei diese gesamtgesellschaftliche Aufgabe in finanzieller und politischer Hinsicht mit dem Kohleausstieg. Die Moorschutzstrategie und das Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz (ANK) seien erste wichtige Schritte für den Klima- und Moorschutz, betonen die Herausgeber. Das Bundesregierung hat das ANK bis 2026 mit 4 Milliarden Euro budgetiert. Es soll zum Zweck haben, den Klimaschutz zu fördern und die Biodiversität zu stärken – als wichtige Handlungsfelder werden dabei der Schutz intakter Moore und die Wiedervernässung trockengelegter Moorflächen genannt. Doch „bei jährlichen Emissionen von 53 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten aus entwässerten Mooren in Deutschland – immerhin über sieben Prozent der Gesamtemissionen – ist die vorgesehene Reduktion von lediglich fünf Millionen Tonnen pro Jahr bis 2030, also weniger als zehn Prozent der jetzigen Moor-Emissionen, nicht ambitioniert genug – wenn gleichzeitig die Volkswirtschaft 65 % einsparen muss“, kritisiert Peters. Es müsse ein Umdenken zum Umgang mit Mooren in der ganzen Gesellschaft stattfinden und auch die Wirtschaft sollte die Potenziale erkennen. „Klimaleistungen aus nasser Landwirtschaft auf Moor oder innovative Produkte „nasser Biomasse“ müssen anerkannt und attraktiv finanziell unterstützt werden.“ Das Vertrauen auf Freiwilligkeit allein reiche mittelfristig nicht aus. Daher müsse die Politik entschieden, konkret und transparent Rahmenbedingungen richtig setzen und alle Akteur*innen zu einem schnellen und praktischen Handeln ermutigen. Die Wiedervernässung der Moore werde eine Kraftanstrengung für die Bäuerinnen und Bauern, sagt Olaf Bandt, Vorsitzender des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland. „Die Bundesregierung muss dafür sorgen, dass das Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz und die Agrarpolitik wirksam miteinander kombiniert werden. Einerseits braucht es einer Honorierung der Landwirtinnen und Landwirte, wenn sie wiedervernässte Moorflächen bewirtschaften. Andererseits brauchen wir eine Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren für Wiedervernässungs- und Naturschutzmaßnahmen“, so Bandt. (ab)