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30.06.2021 | permalink
Rechnungshof: EU-Agrarpolitik trägt nicht zum Klimaschutz bei
Ein neuer Bericht des Europäischen Rechnungshofs stellt der bisherigen Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) der EU ein Armutszeugnis in Sachen Klimaschutz aus: Die Emissionen aus der EU-Landwirtschaft gingen seit 2010 nicht zurück, obwohl 2014 bis 2020 über 100 Milliarden Euro und damit mehr als ein Viertel aller EU-Agrarausgaben in den Klimaschutz gesteckt wurden. Der Bericht erschien am 21. Juni, nur wenige Tage, bevor sich EU-Parlament, Mitgliedsstaaten und Kommission am 25. Juni auf den künftigen Fahrplan für die GAP nach 2023 und ein weitgehendes Weiter-So in der Agrarpolitik einigten. Im Sonderbericht 16 stellt der „Hüter der EU-Finanzen“ fest, dass die meisten von der EU-Agrarpolitik geförderten Maßnahmen zur Abmilderung des Klimawandels nur ein geringes Klimaschutzpotenzial haben und die GAP kaum Anreize setze für Maßnahmen, die in diesem Bereich besonders wirksam wären. „Die EU spielt eine entscheidende Rolle, wenn es darum geht, den Klimawandel im Agrarsektor einzudämmen, weil sie Umweltstandards festlegt und die meisten Agrarausgaben der Mitgliedstaaten mitfinanziert“, sagte Rechnungshofmitglied Viorel Ştefan. „Bei der neuen Gemeinsamen Agrarpolitik sollte mehr Gewicht auf die Verringerung landwirtschaftlicher Emissionen gelegt und transparenter gemacht werden, wie diese Politik zum Klimaschutz beiträgt“, mahnte er an.
Die Prüfer des Rechnungshofs, der über die Sparsamkeit, Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit der EU-Ausgaben wacht, untersuchten für den Sonderbericht, ob mit der GAP im Zeitraum 2014-2020 Verfahren zur Eindämmung des Klimawandels unterstützt wurden. Dabei nahmen sie sich drei wichtige Quellen von Treibhausgasemissionen vor: Viehhaltung, Verwendung von chemischen Düngemitteln und Dung sowie die Nutzung von Ackerflächen und Grünland. Zudem verglichen sie, ob die GAP in diesem Zeitraum bessere Anreize für den Einsatz wirksamer Klimaschutzverfahren bot als in der Förderperiode 2007-2013. In der EU ist die Landwirtschaft für 10,3% aller Emissionen verantwortlich. Die Emissionen aus der Viehhaltung machen rund die Hälfte der landwirtschaftlichen Emissionen aus, heißt es in dem Bericht, und hier gab es seit 2010 keinen Rückgang zu verbuchen. Würden noch die Emissionen aus der Produktion und dem Import von Tierfutter in die EU hinzugerechnet, wäre der Anteil der Emissionen aus der Viehhaltung deutlich höher. „Die Emissionen aus der Viehhaltung stehen direkt im Zusammenhang mit der Größe des Viehbestands“, heißt es in dem Bericht, doch die GAP ziele weder darauf ab, den Viehbestand zu begrenzen, noch biete sie den Landwirten Anreize dahingehend. Im Gegenteil fördere die GAP den Absatz tierischer Erzeugnisse, deren Verzehr seit 2014 nicht rückläufig ist. Im Zeitraum 2014-2018 blieb der Verzehr von Milchprodukten in der EU mit 109 Kilogramm unverändert, während der Konsum von Schweinefleisch um 2% auf 34 Kilo und der von Geflügel um 10% auf 21 Kilo kletterte. Auch bei Eiern war mit 12 Kilo ein Plus von 15% zu verzeichnen.
Die Emissionen aus chemischen Düngemitteln und Dung, die fast ein Drittel der Emissionen aus der Landwirtschaft ausmachen, stiegen zwischen 2010 und 2018. Den höchsten Anstieg gab es mit mehr als 30% in Bulgarien, Tschechien, Ungarn, Rumänien und in der Slowakei zu vermelden. Nur in Griechenland und Zypern ging der Düngereinsatz zurück. Zwar unterstütze die GAP Verfahren, die den Einsatz von Düngemitteln reduzieren könnten, wie etwa den Bio-Landbau und den Anbau von eiweißreichen Körnerfrüchten, doch Auswirkungen dieser Verfahren auf die Treibhausgasemissionen seien unklar. Weitere Verfahren, um die Düngemittelmenge zu reduzieren, seien hingegen kaum finanziell gefördert worden.
In Bezug auf die Flächennutzung untersuchten die Prüfer, ob die bisherige GAP zu einer Verringerungen der Emissionen aus der Landnutzung und einem Anstieg der Kohlenstoffspeicherung auf Grün- und Ackerland beitrug. Hier stellten sie fest, dass die EU-Agrarpolitik sogar klimafeindliche Maßnahmen unterstützt, etwa durch Zahlungen an Landwirte, die entwässerte Torfflächen landwirtschaftlich nutzen. In der EU erstrecken sich Torfflächen auf 24 Millionen Hektar und sie machen 20-25% des gesamten Kohlenstoffsspeichers in Böden in der EU aus. EU-weit werden 4 Millionen Hektar Torfflächen als Acker- oder Grünland genutzt und damit gerade einmal 2% der gesamten Acker- und Grünlandfläche in der EU, doch dies verursacht 20% aller EU-Emissionen aus der Landwirtschaft. Deutschland, Polen und Rumänien verursachen die meisten CO2-Emissionen durch die Trockenlegung von Mooren. Dem Rechnungshof zufolge hätte aus Mitteln für die Entwicklung des ländlichen Raums die Wiederherstellung von Torfflächen gefördert werden können, doch das sei nur selten erfolgt. Im Vergleich zur GAP 2007-13 habe sich die Unterstützung für Maßnahmen zur Kohlenstoffbindung wie Aufforstung, Agroforstwirtschaft und Umwandlung von Ackerland in Grünland zudem nicht erhöht.
Der Rechnungshof stellte auch fest, dass „sich die sogenannten Cross-Compliance-Vorschriften und die Maßnahmen zur Entwicklung des ländlichen Raums im Vergleich zum vorangegangenen Zeitraum kaum verändert haben, obwohl sich die EU ehrgeizigere Klimaziele gesetzt hatte. Die Greening-Maßnahmen, mit denen die Umweltleistung der GAP verbessert werden sollte, hätten den Landwirten keine Anreize für wirksame klimafreundliche Maßnahmen geboten und deren Auswirkung auf das Klima seien daher nur marginal. Die Prüfer empfehlen der EU-Kommission nun, entschlossen zu handeln, damit durch die GAP die Emissionen aus der Landwirtschaft gesenkt werden. Zudem müssten Schritte ergriffen werden, um Emissionen aus bewirtschafteten entwässerten organischen Böden zu verringern und die EU müsse regelmäßig über den Beitrag der GAP zum Klimaschutz berichten. Martin Häusling, agrarpolitischer Sprecher der Grünen im EU-Parlament, pflichtet dem Rechnungshof bei: Solange die GAP-Maßnahmen „keine konsequenten Vorschläge zum Abbau der Tierzahlen mit ihren enormen Soja-CO2-Emissionsimporten, zum Moor und Grünlandschutz und zur Besserstellung der Weidehaltung beinhalten, werden die größten Emissionsquellen auch nicht verringert“, betonte er in einer Pressemitteilung. Und wenn der größte Anteil an landwirtschaftlichen Emissionen, der durch die Herstellung und Anwendung von Mineraldünger entsteht, einfach unthematisiert bleibe, weil die Herstellung der Industrie zugerechnet wird, führe dies nicht zu einer „ehrlichen Klimabilanz der europäischen Landwirtschaft“. (ab)