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16.06.2021 |

IPCC/IPBES: Klima, Biodiversität und soziale Gerechtigkeit gemeinsam denken

Palmen
Gut für Klima und Biodiversität? (Foto: CC0)

Der Verlust der biologischen Vielfalt und der Klimawandel bedrohen zunehmend die Natur und die Lebensgrundlagen unzähliger Menschen weltweit. Doch bisherige politische Strategien nehmen diese Probleme nur isoliert in Angriff und können negative Auswirkungen auf die Natur und deren Ökosystemleistungen für den Menschen haben, bemängeln 50 weltweit führende Biodiversitäts- und Klimaexpert*innen. Sie hatten im Dezember 2020 an einem viertägigen virtuellen Workshop teilgenommen, der vom Weltbiodiversitätsrat IPBES und vom Weltklimarat IPCC einberufen wurde, um Synergien und Zielkonflikte zwischen dem Schutz der Artenvielfalt und der Abschwächung und Anpassung an den Klimawandel zu untersuchen. Der Ergebnisbericht wurde nun am 10. Juni präsentiert. Eine der Hauptbotschaften: Der Kampf gegen die Erderwärmung und für eine nachhaltige Entwicklung wird nur gelingen, wenn die Menschheit die Themen Klimaschutz, Biodiversität und soziale Gerechtigkeit fortan gemeinsam denkt und bei politischen Entscheidungen auf allen Ebenen in ihren Wechselwirkungen gleichrangig berücksichtigt. „Für eine nachhaltige, sozial gerechte Entwicklung menschlicher Gemeinschaften ist beides essenziell: eine möglichst geringe globale Erwärmung und eine artenreiche, produktive und widerstandsfähige Natur“, betonte Prof. Dr. Hans-Otto Pörtner, Klimaforscher am Alfred-Wegener-Institut des Helmholtz-Zentrums für Polar- und Meeresforschung.

Erstmals arbeiteten Expert*innen des Weltklimarates und des Weltbiodiversitätsrates gemeinsam an Lösungen für diese eng miteinander verflochtenen Probleme. Der Bericht wurde jedoch nicht wie andere IPCC- oder IPBES-Publikationen durch die Vollversammlungen der Institutionen offiziell verabschiedet. Die Autor*innen unterstreichen, dass die engen Wechselwirkungen die Politik vor enorme Herausforderungen stellen. „Wenn die internationale Gemeinschaft ihre Klima-, Naturschutz- und Entwicklungsziele erreichen möchte, wird sie nicht umhinkommen, die Belange des Klimas, der Natur und die Bedürfnisse der lokalen Bevölkerung im Dreiklang zu denken. Das heißt, Aufgabenstellungen werden komplexer, weil zum Beispiel Klimaschutzideen, die für sich betrachtet vielversprechend sind, im Hinblick auf die Natur und die lokale Bevölkerung weitreichende Nachteile mit sich bringen können“, sagt Ko-Autor und Biodiversitätsexperte Prof. Dr. Josef Settele vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ).

Der Bericht führt zahlreiche Beispiele für die negativen Folgen von einseitig gedachten Klimaschutzkonzepten für Mensch und Umwelt an. Eines davon ist der großflächige Anbau von Bioenergiepflanzen, der zum Beispiel beim Anbau von Soja und Ölpalmen oft mit der Abholzung tropischer Regenwälder einhergeht. „Der Anbau von Bioenergiepflanzen (einschließlich Bäumen, mehrjährigen Gräsern und einjährigen Feldfrüchten) in Monokultur auf großen Landflächen schadet den Ökosystemen, reduziert die Palette der Ökosystemleistungen und verhindert, dass zahlreiche Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals /SDGs) erreicht werden“, heißt es in der deutschen Übersetzung des Berichts. Die Konkurrenz um Flächen und die Verdrängung lokaler Landnutzungsformen kann hier zu Problemen führen. „Angesichts des anhaltenden Hungers in vielen Regionen der Welt und der Notwendigkeit, eine wachsende Weltbevölkerung zu ernähren, sind solche Szenarien unrealistisch, die für das Jahr 2050 jährliche CO2 Aufnahmeraten durch Bioenergie (einschließlich Kohlenstoffabscheidung und -speicherung) in der Größenordnung des heutigen Kohlenstoffspeichers aller Landökosysteme prognostizieren. Dafür wäre eine Landfläche von der mehr als 1,5-fachen Größe Indiens erforderlich“, so die Expert*innen. Zudem könne der intensive Anbau von Bioenergiepflanzen auch die Artenvielfalt und Ökosystemleistungen in angrenzenden Land-, Süßwasser- und Meeresökosystemen negativ beeinflussen, z.B. durch Dünger und Pestizide.

Auch großflächige Baumpflanzungen in Ökosystemen, die historisch gesehen keine Wälder waren, können schädlich für die biologische Vielfalt sein. Dasselbe gilt für Wiederaufforstungen mit Monokulturen, insbesondere mit exotischen Baumarten, die zudem die Ausbreitung von Schädlingen und Krankheiten fördern können. Baumplantagen können ebenfalls mit Flächen konkurrieren, die für die Produktion von Nahrungsmitteln genutzt werden können, und die lokale Bevölkerung verdrängen oder ihren Zugang zu Land einschränken. Des Weiteren stellen technologiebasierte Maßnahmen, die wirksam zur Minderung des Klimawandels beitragen können, dem Bericht zufolge unter Umständen eine ernsthafte Gefahr für die biologische Vielfalt dar. Erneuerbare Energien im Verkehrs- und Energiesektor seien zwar wichtige Optionen zur Abmilderung des Klimawandels, aber sie sind derzeit noch auf den Abbau von Mineralien an Land und im Meer angewiesen. Dazu gehören zum Beispiel Seltene Erden, die in Windturbinen, Elektroautos und Akkus eingesetzt werden und für die es bisher mitunter noch keine sauberen Entsorgungs- und Wiederverwendungstechnologien gebe. Auch technische und technologische Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel können negative Folgen für die Natur und deren Ökosystemleistungen für den Menschen haben. Besonders bedenklich seien etwa technische Maßnahmen zum Schutz vor Überschwemmungen und Dürren, wie der Bau von Talsperren oder von Deichen zum Schutz der Küsten vor einem steigenden Meeresspiegel. Andere technologische Maßnahmen wiederum können der biologischen Vielfalt hingegen nützen: Verbesserungen in der Bewässerungstechnologie und beim Wassermanagement können zum Beispiel die Fähigkeit landwirtschaftlicher Systeme erhöhen, mit Wasserstress umzugehen. Gemeinsam mit Maßnahmen zur Verbesserung der Bodengesundheit kann so erreicht werden, dass weniger Wasser aus Flüssen und Bächen entnommen werden muss.

Der Bericht beschränkt sich nicht nur auf die Kritik an fehlgeleiteten Maßnahmen, sondern macht auch Vorschläge, was konkret getan werden muss, um Klima- und Artenschutz voranzubringen. Auch die Landwirtschaft kann hier einen Beitrag leisten. „Durch nachhaltige Land- und Forstwirtschaft können die Anpassungsfähigkeit und die biologische Vielfalt von Nutzflächen verbessert werden. Beide Maßnahmen erhöhen zudem die Kohlenstoffspeicherung in Acker- und Waldböden sowie in der dazugehörigen Vegetation und tragen so zu einer Reduktion der Treibhausgasemissionen auf den entsprechenden Flächen bei“, heißt es in der Zusammenfassung. „Dazu gehören Maßnahmen wie die Diversifizierung der angebauten Nutzpflanzen und Waldarten, Agroforstwirtschaft und Agrarökologie. Eine verbesserte Bewirtschaftung von Ackerland und Weidesystemen, wie z.B. Bodenschutz und die Reduzierung des Düngemitteleinsatzes, bietet laut dem Bericht ein jährliches Klimaschutzpotenzial von 3-6 Gigatonnen Kohlendioxid-Äquivalent“, ist der IPBES-Pressemitteilung zum Bericht zu entnehmen. „Eine klimaschonende Landnutzung ist machbar, wenn wir bei unseren Entscheidungen beachten, wie viel der jeweilige Naturraum zu leisten vermag und durch welche Nutzungsformen möglichst viele Menschen von der Natur profitieren“, betont auch Prof. Dr. Josef Settele. Es kann aber nicht nur bei der Produktion von Lebens- und Futtermitteln, Fasern oder Energie angesetzt werden, sondern auch auf der Nachfrageseite. Dazu gehören z.B. die Reduzierung von Lebensmittelverschwendung und Abfällen durch jeden Einzelnen und die Umstellung der Ernährung auf mehr pflanzliche Kost – insbesondere in reicheren Ländern.

Die Politik müsse zudem auch schädliche Subventionen abschaffen, die zu Aktivitäten führen, die sich negativ auf die biologische Vielfalt auswirken, da sie z.B. Abholzung oder Überfischung begünstigen. Besondere Erfolgsaussichten hätte den Expert*innen zufolge eine Klima- und Naturschutzpolitik, die mit der Verbesserung sozialer Gerechtigkeit einhergeht. „Es gilt, die Armut weltweit zu bekämpfen und die Verteilungsgerechtigkeit zu erhöhen“, betont Hans-Otto Pörtner. „Vielen Menschen bleibt aufgrund ihrer sozialen und wirtschaftlichen Not gar nichts anderes übrig, als ihren Lebensunterhalt durch Jagd, illegale Fischerei, Goldsuche oder aber durch andere Aktivitäten zu bestreiten, die zum flächendeckenden Raubbau an der Natur beitragen.“ Sie aus dieser Notlage zu befreien, wäre ein erster wichtiger Schritt für nachhaltigen Klima- und Naturschutz. Künftig, so lautet ein Fazit der Wissenschaftler*innen, müssten sich alle politischen Entscheidungen daran messen lassen, inwiefern sie bestmögliche Resultate für das Klima, die Biodiversität und die Menschen vor Ort erzielen. „Die Belege sind eindeutig: Eine nachhaltige Zukunft für Mensch und Natur weltweit ist weiterhin möglich, doch es bedarf eines transformativen Wandels durch schnelles und umfassendes Handeln“. Dieser transformative Wandel erfordere „eine Neubewertung und Umverteilung der Nutzen und Kosten von Maßnahmen sowie den Wandel von individuellen und kollektiven Werten im Umgang mit der Natur.“ Ein Beispiel sei die Abkehr vom Konzept des wirtschaftlichen Wachstums, hin zu einem Konzept, das gesellschaftliche Entwicklung danach bemisst, ob Wohlstand gleichmäßig verteilt ist, und das die vielfältigen Werte der Natur angemessen berücksichtigt. (ab)

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