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09.08.2019 | permalink
Weltklimarat fordert nachhaltige Landnutzung und Ernährung
Eine rasche und radikale Kehrtwende hin zu einer nachhaltigen Landnutzung und Ernährung ist zwingend notwendig, um den Klimawandel einzudämmen und auch künftig alle Menschen gesund und ausreichend ernähren zu können. Diese Botschaft ist nicht neu – wurde nun aber unmissverständlich deutlich von 107 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus 52 Ländern im neusten Sonderbericht des Weltklimarates IPCC zu Papier gebracht. Die Zusammenfassung dieser wissenschaftlichen Bestandsaufnahme über Klimawandel und Landsysteme wurde in Genf von den 195 IPCC-Mitgliedsstaaten Zeile für Zeile abgestimmt und am 7. August angenommen. „Land spielt eine bedeutende Rolle im Klimasystem“, sagt Jim Skea, Leiter der IPCC-Arbeitsgruppe III. Einerseits sind Land- und Forstwirtschaft und das gesamte Ernährungssystem eine signifikante Treibhausgasquelle: 23% der gesamten anthropogenen Treibhausgasemissionen entfielen 2007–2016 auf diesen Sektor – bei den Methanemissionen betrug der Anteil 44% und beim Ausstoß von Lachgas sogar 82%. Rechnet man die der Lebensmittelproduktion vor- und nachgelagerten Emissionen im globalen Ernährungssystem hinzu, verursacht der Sektor 21‐37% aller Treibhausgasemissionen. „Gleichzeitig absorbieren die Land-Ökosysteme auch fast ein Drittel der gesamten CO2-Emissionen aus der Nutzung fossiler Brennstoffe und der Industrie“, betont Skea. Böden und Landsysteme bergen also ein riesiges Potenzial, den Klimawandel auf unter 2ºC bzw. 1,5ºC zu begrenzen – wenn sie nachhaltig genutzt werden und auch in anderen Bereichen rasch gehandelt wird.
Der Klimawandel stellt bereits jetzt eine erhebliche Belastung für Landsysteme dar, was bestehende Risiken für Lebensgrundlagen, die biologische Vielfalt, die Gesundheit von Mensch und Ökosystemen, Infrastruktur und Ernährungssysteme verschärfen wird, heißt es im Bericht. Rund 500 Millionen Menschen leben in Gebieten, die von Desertifikation betroffen sind. Die globale Erwärmung hat auch fatale Folgen für die Ernährung der wachsenden Weltbevölkerung. „Die Ernährungssicherheit wird künftig zunehmend vom Klimawandel beeinträchtigt werden durch rückläufige Ernten, vor allem in den Tropen, steigende Preise, eine verringerte Nährstoffqualität und Unterbrechungen in der Versorgungskette“, warnt Priyadarshi Shukla, der Ko-Vorsitzende der Arbeitsgruppe III. „In verschiedenen Ländern werden die Auswirkungen unterschiedlich ausfallen, aber in den Ländern mit niedrigem Einkommen in Afrika, Asien, Lateinamerika und der Karibik werden die Folgen am drastischsten sein“, betont er. Vom Wirken und Wirtschaften der Menschheit und ihrem Umgang mit Landsystemen hängen die Zukunft ab. Oder wie es im Sprech der Wissenschaftler heißt: „Entwicklungspfade mit höherem Bedarf an Nahrung, Futtermitteln und Wasser, ressourcenintensiverem Konsum und ebensolcher Produktion sowie mit geringeren technologischen Verbesserungen der landwirtschaftlichen Erträge führen zu höheren Risiken durch Wasserknappheit in Trockengebieten, Landdegradierung und Ernährungsunsicherheit.“
Koordiniertes Handeln zur Anpassung an den Klimawandel kann gleichzeitig aber auch Desertifikation und Landdegradierung bekämpfen und die Ernährungssicherheit verbessern. Im Ernährungssystem sehen die Wissenschaftler effektive Hebel. Die Verhinderung von Lebensmittelverlusten und -verschwendung sei einer davon. Ein Drittel aller produzierten Lebensmittel wird nie verzehrt, die Ursachen dafür sind in Industrie- und Entwicklungsländern ganz unterschiedlich. Diese enorme Verschwendung einzudämmen oder zu verhindern würde massiv Treibhausgasemissionen einsparen und zu mehr Ernährungssicherheit beitragen. Aber auch jeder Einzelne kann etwas tun: „Einige Ernährungsweisen benötigen mehr Land und Wasser und verursachen einen höheren Ausstoß von Treibhausgasen als andere“, sagt Debra Roberts, Ko-Vorsitzende der IPCC-Arbeitsgruppe II. „Eine ausgewogene Ernährung mit pflanzlichen Lebensmitteln wie Getreide, Hülsenfrüchte, Obst und Gemüse und tierischen Produkten, die nachhaltig in treibhausgasarmen Systemen produziert werden, bietet eine große Chance für die Anpassung und Begrenzung des Klimawandels.“
Der IPCC-Bericht nennt zahlreiche Handlungsoptionen für die Gestaltung von politischen Strategien, Institutionen oder Steuerungsmechanismen. „Politische Maßnahmen, die ein nachhaltiges Landmanagement fördern, die Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln für verletzliche Bevölkerungsgruppen sichern und den Kohlenstoff im Boden halten und zugleich Treibhausgasemissionen verringern, sind wichtig“, betont Eduardo Calvo, der Ko-Vorsitzende der Task Force für Nationale Treibhausgasinventare. Die Einführung von nachhaltigem Landmanagement und Armutsbeseitigung können durch Verbesserung des Marktzugangs, Sicherung von Landbesitz, Einbeziehung von Umweltkosten bei Nahrungsmitteln sowie Zahlungen für Ökosystemleistungen und Stärkung lokaler und gemeindebasierter kollektiver Maßnahmen ermöglicht werden. Eines sei jedoch gewiss, betonen die Forscher: Nur eine schnelle Reduktionen der anthropogenen Treibhausgasemissionen in allen Sektoren entlang ehrgeiziger Minderungspfade verringere die negativen Folgen des Klimawandels auf Landökosysteme und Ernährungssysteme. Ein Zaudern und Zögern beim Klimaschutz und dem Wandel hin zu einer nachhaltigen Landnutzung wird die Aussicht auf eine nachhaltige Entwicklung verringern. (ab)