Nachricht
11.01.2017 | permalink
Konzernatlas: Fusionswelle in Agrar- und Ernährungsindustrie bedroht Kleinbauern
Immer weniger und größere werdende Konzerne weiten ihre Kontrolle über Landwirtschaft und Ernährung aus – zulasten von Kleinbauern und der regionalen Lebensmittelversorgung. Das zeigt der am Dienstag veröffentlichte Konzernatlas 2017 eindrücklich mit Zahlen, Fakten und Grafiken. Auf allen Stufen der Lieferkette finden Konzentrationsprozesse mit einer enormen Dynamik statt. Der Trend geht zum globalen Player: Unternehmen werden durch Fusionen immer größer und verdrängen die Konkurrenz. Die Herausgeber – Heinrich-Böll-Stiftung, Rosa-Luxemburg-Stiftung, Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), Oxfam, Germanwatch und Le Monde Diplomatique – warnen, dass diese Konzentrationsprozesse im Agrarsektor den 2015 verabschiedeten UN-Nachhaltigkeitszielen (SDGs) zuwiderlaufen und fordern stärkere Kontrolle im Agrar- und Ernährungsbereich. „Die Agrar-, Lebensmittel- und Handelskonzerne treiben die Industrialisierung entlang der gesamten Wertschöpfungskette vom Acker bis zur Ladentheke voran“, schreiben sie im Vorwort der Publikation. „Sie fördern mit ihrer Verkaufs- beziehungsweise Einkaufspolitik eine Landwirtschaft, bei der die Steigerung der Produktivität im Mittelpunkt steht und der Kampf um Marktanteile häufig zulasten der schwächsten Glieder in der Lieferkette geht: der Bäuerinnen und Bauern sowie der Arbeiter und Arbeiterinnen.“ Der Preisdruck der Supermarktketten und Lebensmittelkonzerne führe jedoch nicht nur zu schlechten Arbeitsbedingungen und Armut, sondern auch zum Vormarsch der industriellen Landwirtschaft verbunden mit gravierenden Klima- und Umweltproblemen weltweit. „Höfesterben, Landkonzentration, Patente und Monokulturen - das sind die Folgen der Konzernmacht im Ernährungssektor. Sie schafft massive Abhängigkeit für Bauern und Bäuerinnen und Konsumenten und Konsumentinnen von Konzernentscheidungen. Die Vielfalt für Ernährung und Natur bleibt auf der Strecke“, warnte Barbara Unmüßig, Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung, in einer Pressemitteilung.
Ein stark konzentrierter Bereich ist der Welthandel mit Agrarrohstoffen: Mittlerweile kontrollieren nur vier Großkonzerne – die berühmte ABCD-Gruppe mit Archer Daniels Midland, Bunge, Cargill und die Louis Dreyfus Company – rund 70% des Welthandels mit Agrarrohstoffen. Weizen, Mais und Soja sind die drei wichtigsten globalen Handelsgüter. In den vergangenen Jahren schloss der chinesische Getreidehändler Cofco auf und avancierte zum Hauptaufkäufer von brasilianischem Mais und Soja. Die Herausgeber haben zudem Zahlen zu aktuellen Fusionen von Agrarkonzernen zusammengestellt: Fünf der zwölf kapitalintensivsten Übernahmen börsennotierter Konzerne fanden 2015 und 2016 im Agrar- und Ernährungsbereich statt: Weltweite Zusammenschlüsse haben seit der Finanzkrise fast wieder das Ausmaß der Boomjahre erreicht. 2015 lag der Wert der Fusionen in diesem Bereich mit 347 Milliarden Dollar fünf Mal höher als der im Pharma- oder Ölsektor. Die Hochzeit von Bayer und Monsanto ist dabei nur die Spitze des Eisbergs. „Die avisierten Mega-Fusionen bei den Saatgut- und Agrarchemiekonzernen – Bayer/Monsanto, Dow/DuPont, Syngenta/ChemChina – sind ein Weckruf“, so der Atlas. Dadurch würden drei Konzerne mehr als 60% der Märkte für kommerzielles Saatgut und für Agrarchemikalien beherrschen. „Die Politik und die Wettbewerbsbehörden müssen sich mit den gesellschaftlich relevanten Folgen der Fusionen in bereits hochkonzentrierten Märkten beschäftigen. Sie müssen eine Reform des Wettbewerbsrechts vorantreiben, um eine weitere Konzentration entlang der gesamten Lieferkette zu verhindern“, lautet die Forderung der Organisationen. (ab)